JIM HALL (1999)

EIN MUSIKALISCHES SCHLÜSSELERLEBNIS WAR FÜR MICH...

Wahrscheinlich - Charlie Christian zu hören, in einer Aufnahme mit dem Benny Goodman Sextett.Das war wirklich ein geistiges Erwachen für mich.

Ich war 13 Jahre alt, spielte seit 3 oder 4 Jahren Gitarre, auch schon in Bands an der High School.

Einer der Bandleader, Angelo Vienna, ein Klarinettist, nahm mich in einen Plattenladen mit, um Benny Goodman-Aufnahmen zu kaufen.

Bei dieser Gelegenheit habe ich dann dieses Solo von Charlie Christian gehört. Was es genau war, war mir im Moment sicher nicht bewußt. Charlie Christian war damals vermutlich schon tot, ich habe ihn jedenfalls nie live erlebt.

Aber dieses Solo hat mich vollkommen gepackt, so hätte ich auch spielen wollen. Es waren zwei Chorusse eines Blues in F.

Wenn ich heute das Solo höre, denke ich immer noch:

"Mensch, so müsstest Du spielen können!" (lacht)

Das war sicher ein Schlüsselerlebnis.

EIN VÖLLIGER FEHLKAUF WAR DIE PLATTE...

Das ist eine interessante Frage.

Wenn ich überhaupt etwas im Überfluß erhalte, dann CDs, die man mir zusteckt - vor allem, wenn ich auf Tournee bin. Und ich weiß, daß ich sie mir nie anhören werde...

also lasse ich sie manchmal - mit Bedauern - einfach im Hotel liegen.

Ich höre sowieso meist Klassische Musik, und zwar zeitgenössische Klassik...einige meiner Freunde sind Komponisten. Oder ich wiederentdecke Mozart. Oder Ravel.

Und Stravinsky. Ich mag Stravinsky sehr.

MAN KÖNNTE MICH NACHTS WECKEN FÜR...

Vielleicht um das Streichquartett in F von Ravel zu hören.

Oder etwas von Francis Poulenc.

Oder um Freunde wiederzutreffen, zu denen ich den Kontakt verloren habe.

ES FÄLLT MIR SCHWER ZUZUGEBEN, ABER ICH STEHE WIRKLICH AUF...

Es fällt mir unglücklicherweise meine eigene Ignoranz ein. Gegenüber Rock´n´Roll bin ich zum Beispiel vollkommen ignorant. Ich spreche jetzt mal ins Unreine.Zu Rock´n´Roll habe ich überhaupt keine Beziehung. Es fällt mir schwer, über Rock´n´Roll als Musik zu sprechen, ich zähle ihn eher zur Soziologie als zur Musik - auch wenn einige dieser Leute wirklich schnell Gitarre spielen.

Musikalisch ist Rock´n´Roll ziemlich töricht; die Idee eines Stückes hat man in zwei Minuten raus.

Wie gesagt, in dieser Hinsicht bin ich ignorant.

Ich habe mich z.B. nie um Frank Zappa geschert. Nach seinem Tode hört ich ein Stück von ihm, das wie Stravinsky klang, in einer Aufführung an der Julliard School - also habe ich mich in Zappa offenkundig getäuscht.

Ich mag alles, das dauerhaft mein Interesse erregt.

Mit Art Farmer habe ich ein paar Wochen in einem Club in Berlin gespielt; ich glaube, das war 1963.Die Clubinhaber stammten aus Indien. Eines Tages fingen sie nach dem Konzert an, einfach so auf die Tische zu trommeln - das war unglaublich gut.

Ich höre mir alles an, das mein Interesse wachhalten kann.

EINE MUSIK, DIE ICH MIR NOCH ERARBEITEN MUSS, IST...

Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt notwendig ist, Musik zu "verstehen".

Ich denke, Musik wird von Menschen gemacht, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Diese Idee gefällt mir.

Vielleicht müsste ich mir Indische Musik erarbeiten. Ich mochte Ravi Shankar von Beginn an, aber ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem indischen Gesang.

Das is vielleicht das einzige, was mir komisch vorkommt. (lacht).

EIN MUSIKALISCHER TRAUM VON MIR IST...

Meine musikalischen Träume sind schon in Erfüllung gegangen. Ich habe mich in letzter Zeit mehr um das Komponieren kümmern können. Ich habe für Streichquartett und Jazzquartett komponiert. Wenn ich das mal zusammen in einem Konzert präsentieren könnte...

Das ist bestimmt keine neuartige Idee.

Ein wenig haben wir das im vergangenen Jahr in Dänemark realisiert, wo ich den Jazzpar-Preis erhalten habe. Im ersten Teil das Jazzquartett und danach das Streichquartett. Aber schön wäre doch, wenn das Streichquartett anfinge, vielleicht mit einem Satz aus dem Ravel-Streichquartett, um zu zeigen, daß Jazz und Klassische Musik so weit gar nicht auseinander sind und keine andere Herangehensweise benötigen.

WICHTIGER ALS MUSIK IST MIR...

Daß die Menschen gut miteinander auskommen. Das ist einer der Gründe, warum ich Musik liebe. Ich betrachte Musik als Mittel, um Menschen einander näher zu bringen.

Manchmal bin ich versucht, das Mikrophon zu politischen Aussagenzu nutzen. Dann sagt der andere Teil in mir: "Du brauchst überhaupt nichts zu sagen, spiel´ Deine Musik - das ist hilfreicher!"

In diese Richtung ginge meine Antwort.

BEETHOVEN...

Der ist schon mal nicht schlecht. Ich habe großen Respekt vor ihm und kann auch ein wenig nachvollziehen, wie schwierig sein Leben gewesen sein muß. Der hat unglaublich hart gearbeit. Er ist klasse.

PRINCE...

Ob Sie´s glauben oder nicht - ich habe ihn wahrscheinlich gehört. Ganz sicher habe ich ihn im Fernsehen gesehen. Ich drehe beim Fernsehen immer den Ton ab.

Ich mag die Videos von Prince - ich mag überhaupt viele Rock´n´Roll-Videos.

Aber wenn ich den Ton aufdrehe - nichts!

Also, ich weiß wirklich nur, wie Prince aussieht.

JOHN CAGE...

Der ist nun wirklich interessant. Er wohnte übrigens in New York City eine Zeitlang in meiner Nähe, aber ich habe ihn nie getroffen.

Der war wirklich an der Spitze der Bewegung, ein Pionier in vielfacher Hinsicht. Ein ganz kühner Typ.

BEATLES...

Heute gelten sie als Genies. Als sie zum ersten Male auftauchten, hielt ich sie für dumm wie jede andere Popgruppe. Ich mag "Eleanor Rigby".

Die Musiker, mit denen ich jetzt arbeite - Chris Potter und Scott Colley - sind mit Beatles-Musik aufgewachsen...also muß sie einfach gut sein!

JOHN ZORN...

Ich weiß wenig über ihn, aber ich mag ihn. Ich glaube, auch er treibt die Dinge voran, er geht Risiken ein.

Pat Metheny macht dasselbe. In gewisser Hinsicht geht Pat sehr kalkuliert vor, seine Musik ist sehr systematisch und sorgsam ausgearbeitet. Aber dann kommt Pat andererseits mit Ornette Coleman zusammen...er ist ähnlich wie John Zorn.

KARLHEINZ STOCKHAUSEN...

Ich habe vor einigen Jahren in New York eine Aufführung seiner Musik besucht. Ich will nicht behaupten, daß ich viel von seiner Musik kenne...ich habe mich nur eine Zeitlang damit beschäftigt. Aber ich bewundere auch ihn.

MADONNA...

Wieder so ein Fall, wo ich jemanden nur gesehen habe und gar nicht weiß, wie sie klingt. Aber Chris Potter meint, ich hätte sie vermutlich auch gehört.

MILES DAVIS...

Einer meiner Helden. Er konnte Stille besser spielen als die meisten Leute Noten.

Ich habe ihn sehr bewundert.

PAVAROTTI...

(lachend)

...der ist auch gar nicht so übel. Ein erstaunlicher Bursche. Wie Madonna weiß auch er, wie man sein Talent auch ganz gut verkauft.

ALBERT MANGELSDORFF...

Ich habe ein bißchen von ihm gehört, vielleicht habe ich ihn auch getroffen. Über seine Musik kann ich nicht viel sagen.

ZAPPA...

Zappa hat mich als Zeuge in einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongreß sehr beeindruckt. Vor Jahren habe ich viel mit Steve Swallow gearbeitet, und der hat ständig über Zappa geredet. Ich habe mich ja immer mehr um meine Art Jazz und Klassische Musik gekümmert und hielt alles andere für blöde.

Aber im nachhinein muß ich sagen - Zappa war hervorragend.

REIF FÜR DIE INSEL - DIESE PLATTEN NEHME ICH MIT...

Ob Sie´s glauben oder nicht: ich bin ein großer Freund der Stille. Wir sind jetzt seit über einer Woche im Band-Bus unterwegs. Die Kollegen hören ständig irgendwas über Kopfhörer - ich schaue viel lieber aus dem Fenster.

Mir wäre Stille auf der Insel lieber - ich würde wohl gar keine CDs mitnehmen.

 

 

 

 

©2002 by Michael Rüsenberg