Quo Vadis Jazz?

Das alternde Jazzpublikum, die Clubs und das Feuilleton
WDR 3, 05.12.2009


WDR 3 Jazz heute mit dem Thema:
Quo vadis Jazz?
Das alternde Jazzpublikum, die Clubs und das Feuilleton.
Am Mikrofon ist Michael Rüsenberg.

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FLORIAN ROSS Sorry, I can´t do that 4:47

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MODERATION

Der Konflikt, um den es in dieser Sendung geht, er erfordert, daß wir noch einmal zurückschalten in die Zeit vor der Bundestagswahl:
in den August 2009. Da erhält die Bundeskonferenz Jazz in Bonn Post von den im Bundestag vertretenen Parteien.
Zuvor hatte sie an jene in Berlin etwas geschickt: nämlich sogenannte „Wahlprüfsteine“

PETER SCHULZE

Sie beinhalteten im Prinzip die Frage danach: wie halten es denn die Parteien mit dem Jazz? Aber natürlich hat der Jazz auch seine Bedingungen. Dazu gehören Studien, dazu gehören Live-Auftritte, dazu gehören Aufnahmen, dazu gehört Export und all dieses, und danach haben wir gefragt.

MODERATION

PETER SCHULZE von der Bundeskonferenz Jazz. Das ist ein Gremium mit Sitz in Bonn, das sich als kulturpolitische Interessenvertretung des deutschen Jazz versteht. SCHULZE z.B. war lange Jahre Jazzredakteur bei Radio Bremen und zuletzt Leiter des Jazzfest Berlin.

PETER SCHULZE

Wir haben auch von allen Parteien Antwort gekriegt. Wir sind natürlich nicht so blauäugig zu denken, dass all das, was die Herrschaften dort geschrieben haben, auch 1:1 umgesetzt wird. Aber für uns war erstmal ein wichtiger Punkt, dass die sich überhaupt mal mit dieser Frage beschäftigen.

ZITAT BUNDESKONFERENZ JAZZ

Es ist erfreulich, wie gut fast alle Parteien die spezifische Situation der Jazzmusik und die daraus folgenden Probleme kennen. Ohne Noten verteilen zu wollen, fassen wir zusammen, dass lediglich die CDU mehr als vage bleibt und einen konkreten Bezug auf Jazzmusik und deren Besonderheiten vermissen lässt. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da diese Partei den Kulturbeauftragten der Bundesregierung stellt, der in den letzten vier Jahren für dieses Themenfeld zuständig gewesen ist.

MODERATION

Diese Bewertung stammt aus einer Presse-Erklärung der Bundeskonferenz Jazz zu den Antworten der Parteien auf ihre „Wahlprüfsteine“.
Dass die Parteien so gut mit den Problemen der Jazzszene vertraut sind, darf nicht verwundern - hat doch die Bundeskonferenz 2007 ein umfangreiches „Eckpunkte-Papier“ just an die Parteien überreicht. Ein durchaus gelungenes Stück Lobby-Arbeit.

PETER SCHULZE

Dieses Eckpunktepapier von 2007, was wir auch dem Bundestag überreicht haben damals, sieht vor, dass es um den Bereich der konkreten künstlerischen Ausbildung im Hochschulbereich in Deutschland wirklich prima aussieht. Da gibt es 18 Hochschulen in der Bundesrepublik, volle Jazzstudiengänge. Und die Förderung von jungen Musikern ist in der Tat phänomenal an gewissen Punkten. Sie durchlaufen in ihrem Studium dann auch Stationen – was weiß ich – beim Bundesjugendjazzorchester mit Tourneen nach Südafrika und durch die ganze Welt. Und wenn sie dann fertig sind mit dem Studium, dann gibt’s das große Loch, weil dann gibt es nichts mehr an Förderung, dann gibt es nichts mehr zu tun und dann gibt es auch keine Spielstätten. Und genau da müsste an sich ein Spielstättenprogramm ansetzten, das wir vorgeschlagen haben, um eben halt wirklich Spielstätten mit mutigen Programmen gefördert wissen wollen und zwar strukturell gefördert wissen wollen. Es geht ja nicht darum, dass man einzelne Künstlerförderung macht, sondern strukturelle Förderung. Dafür ist in der Tat der Staat ja doch mit zuständig, und vor allen Dingen auch der Bund. Der ist noch mehr zuständig in dem Bereich - dem dritten Bereich – nämlich dem Export. Müssten ja praktisch die Musiker wenn sie ausgebildet sind und wenn sie dann in Deutschland gute Spielmöglichkeiten sich geschaffen haben, dann muss es diese Spielmöglichkeiten auch im Ausland geben. Norwegen gibt sehr, sehr viel Geld aus, um die eigenen Musiker wirklich sozusagen zu exportieren. Da könnten wir überhaupt nicht dran rütteln. Aber das hat auch damit zu tun, dass in Norwegen eine ganz andere Tradition von Förderung ist, dass Norwegen nicht so stark mit dem Reichtum der Tradition gesegnet ist, wie das in Deutschland der Fall ist.

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KLARE, MARIS, DE JOODE, VATCHER pavement 2:49

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SIEGMUND EHRMANN

Ich bin dankbar, dass sich die Bundeskonferenz Jazz gebildet hat und dass sie auch den Kontakt zur Kulturpolitik des Bundes gesucht hat. Interessen müssen sich organisieren, das ist hier in diesem Sektor geschehen. Alldieweil zuvor, auch auf der Bundesebene, die Belange der Improvisierten Musik und des Jazz überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Und darüber nachzudenken, ob von den denkbar möglichen Rahmenbedingungen, die der Staat in der Hand hat - auch im Bereich der Improvisierten Musik und des Jazz - das Vernünftige und Sinnvolle getan wird, das ist durch die Bundeskonferenz Jazz angestoßen worden.

MODERATION

Siegmund Ehrmann, Mitglied im Kulturausschuß des Deutschen Bundestages, im Wahlkreis Moers/Krefeld-Nord als Direktkandidat für die SPD gewählt.

PETER SCHULZE

Es gab durchweg positive Antworten, mehr oder weniger konkret. Also das ging vom sehr allgemeinen kulturwirtschaflichen Exkurs der CDU bis hin zu sehr konkreten Forderungen auch, was die Spielstättenförderung angeht zum Beispiel.

MODERATION

Dass die Parteien im Bundestag sich zur „Spielstättenförderung“ äußern - einem zentralen Anliegen der Bundeskonferenz Jazz -, das wäre vermutlich von einer breiten Öffentlichkeit völlig unbemerkt geblieben ... hätte nicht die Süddeutsche Zeitung in einem kommentierenden Bericht die „Spielstättenförderung“ und die ganze Bundeskonferenz Jazz gleich mit- tja nicht nur in Zweifel gezogen, sondern geradezu in die Tonne getreten.

ZITAT SZ BEBOP FÜR DIE EXPORTWIRTSCHAFT

Ach, was für weinerliche Knechte diese Funktionäre in ihrem leeren Vertrauen auf die Politik doch sind, und wie verschlagen sie jedes bisschen Anerkennung, das ihnen die Parteien gewähren, in eine Finanzierungszusage verwandeln möchten. GesetzZ den Fall, es käme bei den Bemühungen der Bundeskonferenz Jazz ein wenig Geld heraus, eine Förderung für Clubs, eine Auszeichnung, eine Erleichterung bei der GEMA. Wer hätte etwas davon? Die Spielstätten? Vielleicht. Aber der Jazz?  Wie verwegen und albern ist die Hoffnung, ein musikalischen Genre würde besser, lebendiger und vor allem beliebter, wenn man einen „Kulturtarif für Kleinveranstalter“ einrichtete und sich deswegen von der Politik vereinnahmen lasse.

MODERATION

Ein Zitat aus dem Beitrag „Bebop für die Exportwirtschaft“, aus der Süddeutschen Zeitung vom 11. August. Autor ist einer der beiden Feuilleton-Chefs: Prof Dr Thomas Steinfeld.

THOMAS STEINFELD

Resonanz? Wie bei vielen Artikeln, ist die Resonanz sehr geteilt gewesen. Aber das macht den interessanten Artikel aus. Es hat viele gegeben, die gesagt haben: ich habe recht, das hilft nichts, wenn wir den gesamten Musikbetrieb in Deutschland dermaßen bürokratisieren. Und es hat andere gegeben, die völlig empört waren, weil sie gemeint haben,, ich wolle ihnen die Spielmöglichkeiten, die Auftrittsmöglichkeiten, die Möglichkeiten sich selber zu präsentieren wegnehmen.

PETER SCHULZE

Naja, also so weinerlich sind wir nicht. Wir wissen schon was, wir tun da. Das finde ich erstmal positiv: dass sich überhaupt die Süddeutsche Zeitung da mal mit beschäftigt, und es könnte ja durchaus oder sollte durchaus ein Anlass sein, in einen Diskurs darüber zu gehen. Denn dieser Artikel zeugt doch von so viel Unkenntnis in vielen Bereichen, dass man denkt: da ist Aufklärung auch erforderlich. Und Thomas Steinfeld ist ja nicht irgendjemand, sondern der Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung. Ich fände es prima, wenn man da tatsächlich einen Diskurs anzetteln würde über die Situation des Jazz in den deutschen Feuilletons.

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HEINZ SAUER, MICHAEL WOLLNY Space Cake 1:51

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SIEGMUND EHRMANN

Und in sofern hat dieser Kommentar in der Süddeutschen in der Tat einen Duktus, den ich auch ein wenig erstaunlich finde, weil einfach die Dinge so funktionieren. Interessen organisieren sich, sie müssen gegenüber der Politik artikuliert werden. Und jetzt kann man allenfalls darüber streiten, ob die Forderungen, die die Bundeskonferenz Jazz in Richtung Politik gerichtet (hat), ob die weiterhelfen oder nicht.

MODERATION
Der Kern der Forderungen aus den „Wahlprüfsteinen“ der Bundeskonferenz Jazz ist die sogenannte „Spielstättenförderung“, wie sie auch in einer ihrer Presse-Erklärungen dargelegt wird

ZITAT BUNDESKONFERENZ JAZZ

Einhellig wird von allen Parteien die stärkere Förderung von Jazzspielstätten gefordert. Dies bekräftigt eine Forderung, die der deutsche Bundestag bereits im April 2007 in einem Antrag an die Bundesregierung gerichtet hatte. Es ist zu hoffen, dass dieses Fördervorhaben in der neuen Legislaturperiode konkrete Formen annimmt.

MODERATION

Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung erläutert seine Einwände.

THOMAS STEINFELD

Da muss ich ja praktisch nur vor die Haustür gehen; ich wohne nicht weit von der „Unterfahrt“ hier in München und sehe, was die machen und sehe natürlich auch, dass das ohne Subventionierung nie stattfinden könnte. Aber das ist doch eines, das festzuhalten. Und eine andere Frage ist, sich zu überlegen: muss das denn immer so weitergehen? Was hat eigentlich die Musik davon, wenn sie im immer höherem Maße subventioniert wird? Dass sich durch Subventionen Hörer einstellen oder gar Konsumenten und Käufer - das ist doch keine notwendige Verbindung.

MODERATION

Der Kern von Steinfelds Einwänden lautet: zuviel Bürokratie!
Aber, warum eigentlich?

THOMAS STEINFELD

Weil dahinter ein Förderungsbegehren steht, das ist doch ganz klar. Wenn man gefördert wird, dann muss man nicht nur dokumentieren, sondern da gibt es Ausschüsse, da gibt es Jurys, da gibt es Bewertungsvorgänge. Und so geht das eben in der öffentlichen Subvention von Kunst.

PETER SCHULZE

Vielleicht zur Illustration: dieser Spielstättenprogrammpreis ist angelehnt an den Kinoprogrammpreis. Das sind diese Programmkinos, die jährlich - wenn sie ein gutes Programm gemacht haben - nachträglich einen Programmpreis bekommen dafür, dass sie ein gutes Programm gemacht haben. Uns so ähnlich haben wir uns das vorgestellt, um eben genau nicht die Bürokratie zu produzieren, die Herr Steinfeld da befürchtet. Da wäre dies der unbürokratischste Vorgang, dass man nämlich Programme von Spielstätten im Nachhinein begutachtet und sagt okay: diese und jene Kriterien sind für uns wichtig als Programm; wie häufig Konzerte sind, was an lokalen Musikern, an nationalen, an internationalen Musikern, an Sessions, an Workshops und Ähnlichem stattfindet. Wenn das dann am Ende des Jahres eingereicht wird das Programm und eine Jury darüber befindet, dann befindet die darüber, ob diese Kriterien erfüllt sind oder nicht. Und dann kriegen die den Preis, oder sie kriegen ihn nicht. Verwendungsnachweis, Antragstellen und Ähnliches, also diese ganze Bürokratie, die damit in Verbindung stünde, die fällt bei so einer Konstruktion völlig weg. Da haben wir uns schon überlegt, dass also das Geld lieber in die Spielstätten als in die Bürokratie gehen soll.

SIEGMUND EHRMANN

Ich bin ja auch im Beirat des Jazzclubs Domicil in Dortmund, und wir hatten vor nicht allzu langer Zeit dort eine Zusammenkunft. Also die wirtschaftliche Situation, auch der großen Clubs, die wirklich auch in der Region beitragen, dass die Breite und Vielfalt des Musiksektors im Bereich Jazz und Improvisierter Musik wahrnehmbar ist, also die arbeiten am Anschlag. Dort einfach Modalitäten präziser zu entwickeln, um ihnen eine Perspektive zu geben, zumindest aber auch deutlich zu machen, dass der öffentlichen Kulturförderung das auch ein Bedürfnis ist. Und zwar nicht, um Eitelkeiten zu begehen oder irgendwelche Sprengel aus Proporz zu bedienen, sondern weil es in der Breite unserer Kulturlandschaft ein wichtiges Segment ist, in dem immer wieder etwas Neues entsteht. Und am Ende des Tages auch ökonomische – nicht nur künstlerisch - auch ökonomische Potenziale liegen.

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ROOT 70 me, myself and I 3:35

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SIEGMUND EHRMANN

Wir geben im Jahr etwa 18 Millionen Euro im Bereich der Musikförderung des Bundes aus. Davon gehen etwa grob 15,5 Millionen in klassische Musiksegmente, und Populäre Musik im weitesten Sinne - geschweige denn Jazz -, das sind Spliß-Parzellen, die da zu sichten sind. Nun geht es nicht nur um Geld, es geht auch um Infrastruktur, Spielstättenförderung etc. Aslso es gibt halt eine Masse Themen, (das) ist zu erkennen. Ich erwähnte, die Bundeskonferenz Jazz hat wertvolle Arbeit geleistet. Aber die Tatsache, dass ich eben aus Moers komme, in Moers auch viele Jahre Kulturdezernent war und mit dem Jazzfestival zu tun hatte, hat mich auch sehender gemacht und mit ein paar praktischen Erfahrungen ausgestattet, die ja gelegentlich auch nützen sollen.

MODERATION

Siegmund Ehrmann, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Moers.
Verstehen wir ihn richtig, dass die Spielstätten-Förderung, die seit 2007 bekannt ist, immer noch nichts weiter ist als eine Spielstätten-Forderung?

SIEGMUND EHRMANN

Das ist eindeutig. Da ist bisher noch nichts abgeflossen. Politische Forderung ja, aber unsere Mitglieder im Aufsichtsrat der Initiative Musik haben das immer wieder auf die Agenda gehoben, aber das ist sehr zurückhaltend, das und hat etwas damit zu tun- Sie kennen die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Initiative Musik, Akteure wie Dieter Gorny oder Steffen Kampeter, nun ja, die haben vielleicht viele Interessen, aber nicht zwingend ganz oben auf der Tagesordnung den Jazz und die Spielstätten.

MODERATION

Da sind zwei Namen gefallen: Dieter Gorny leitet den Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft und Steffen Kampeter, CDU, ist jüngst als Staatssekretär ins Finanzministerium gewechselt.

SIEGMUND EHRMANN

Also was ich positiv anmerken möchte - das sind aber Einzelentscheidungen, keine systematische Entscheidung -, dass der Bund bei dem German Jazz  Meeting in Bremen eingesprungen ist, in einer zum Teil - sagen wir mal - sehr mutigen Art und Weise Töpfe aufgebohrt hat, damit diese Jazz-Messe auch stattfinden konnte. Das ist passiert. Es gibt Einzelprojekte aus der Initiative Musik, die aber mir den Eindruck erwecken das ist keine systematische Förderung. Wir sind im Bereich der Spielstättenförderung netto-betrachtet keinen Zentimeter weiter. Das sind alles wohlfeile Absichtserklärungen auch in der Vergangenheit gewesen, aber ernsthaft jetzt mal zu sagen: jetzt machen wir mal Pilotprojekte, wir probieren einfach mal aus, unter welchen Bedingungen das dann tatsächlich praktische Erfolge zeitigen kann. Das erkenne ich nicht. Wir haben als Parlament in der Zeit der Großen Koalition einen eindeutigen Auftrag an die Bundesregierung definiert. Unter der Zeit der Großen Koalition ist der halbherzig angegangen worden, da sehe ich Herrn Staatsminister Neumann auch äußerst kritisch und jetzt natürlich die Fraktionsloyalität aus der großen Koalition weg, und das werden wir ganz massiv thematisieren, dasss da ein Auftrag besteht des Parlamentes und das jetzt hier nicht nur die Lippen gespitzt sondern, auch gepfiffen werden muss.

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ROGER HANSCHEL interlude 3:10

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ZITAT SZ BEBOP FÜR DIE EXPORTWIRTSCHAFT

Die erfolgreichsten Jazzmusiker - auch in Deutschland - kommen gegenwärtig immer noch aus den skandinavischen Ländern, vor allem aus Norwegen und Schweden. Aber eine Institution, die der Bundeskonferenz Jazz entspräche, gibt es in keinem dieser Länder.

MODERATION

Ein weiteres Zitat aus dem Artikel von Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung. Es antwortet: Peter Schulze von der ... Bundeskonfrenz Jazz.

PETER SCHULZE

Aus der Sicht der Bundeskonferenz zeigt sich einfach, dass er herzlich wenig informiert ist darüber, was eigentlich im Jazz los ist, was in der Bundesrepublik im Jazz los ist. Er hat da ja doch ziemlich allgemein losgeschossen. Und das ist auch so aus der Beobachtung der internationalen Situation, da irrt Steinfeld ebenfalls, wenn er spricht von den wunderbaren Zuständen in Norwegen und Schweden, dass man dort gar keine Bundeskonferenz braucht. Das Gegenteil ist der Fall, dort gibt es eine wesentlich mächtigere Institution, nämlich das „Norsk Jazz Forum“ z.B., was sehr viele Aktivitäten bündelt. Und auch die Rijkskonzerter, also eine Konzertorganisation, die seit 40 Jahren nachhaltig wirklich dafür sorgt, dass in Norwegen Kinder schon im Schulalter mit Live-Musik konfrontiert werden. Ich glaube, dsd hat in der Tat eine nachhaltige Wirkung - all das fehlt in Deutschland bisher.

THOMAS STEINFELD

Ich habe in meinem Artikel ja auch gesprochen davon, wie das in den skandinavischen Ländern ist. Und habe natürlich zu Recht den Einwand bekommen: ja, die Skandinavier die fördern doch auch! Die fördern nicht zuletzt den Export der Musik! Und trotzdem nimmt das bei denen einen anderen Charakter an, weil man den Eindruck hat, da sind auf allen Seiten dieses Verteilungsprozesses Leute, die sich wirklich für diese Musik interessieren, die mit dieser Musik aufgewachsen sind, die sie nicht nur verwalten, sondern im Zweifel auch selber spielen können. Und es kommt wirklich eine andere Musik dabei heraus. Während ich den Eindruck habe, hier führt das zu einer saturierten Mittelmäßigkeit, die irgendwie völlig ins Uninteressante abgleitet. Und ich weiß nicht, was die subventionierte Spielstätte daran ändern soll.

PETER SCHULZE

Das ist natürlich ein Quatsch-Argument, sag ich mal. Danach wird - glaube ich - nicht unbedingt der Bau von Konzerthäusern entschieden, ob dadurch die Musik besser wird - sie kommt besser rüber. Und das wäre in Spielstätten im Zweifelsfall auch der Fall.

THOMAS STEINFELD

Wo wäre in Deutschland ein Musiker wie Trygve Seym, oder wie die Nils-Petter Molvaer? Das sind also Leute, die ästhetisch hoch interessant sind, extrem wagemutig, und bei denen man nie den Eindruck hätte: die brauchen jetzt unbedingt einen subventionierten Club.

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ULRICH LASK early circle 3:02

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MODERATION

Ein anderer Aspekt, den Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung aufgreift, ist die Veränderung des Jazz-Konzertpublikums: es ist deutlich älter geworden und es nimmt deutlich ab.
Jedenfalls in den USA, nach Untersuchungen im Auftrag des National Endowment of the Arts.

THOMAS STEINFELD

Ich habe diese Geschichte erzählt, weil das auf eine Statistik zurückgeht des National Endowment of the Arts. Und wenn ich mir diese Statistik ansehe und in Deutschland ins Konzert gehe,  dann denke ich mir, es läuft ungefähr so ähnlich. Ich bin natürlich nicht rumgegangen und habe Strichlisten geführt oder die Leute gefragt, wie alt sie sind. Aber ich denke, das ist ein Eindruck, gegen den man sich durchaus nicht wehren kann.

MODERATION

Thomas Steinfeld schildert hier seine subjektiven Eindrücke - wie wir alle! Niemand, der Jazzkonzerte besucht, verfügt über eine verlässlichere Methode.
Das ist unbefriedigend. Ich habe deshalb einen Fachmann besucht:
den Musikpsychologen Prof Dr Hans Neuhoff an der Musikhochschule Köln.

HANS NEUHOFF

Also die Qualität des National Endowment ist meines Erachtens sehr gut, es ist repräsentativ, ich kann Ihnen nicht die genaue Zahl der Befragten sagen, aber sie ist sehr hoch. Und es ist meines Wissens die beste Datenbasis für derartige Fragestellungen, was die Partizipation an den Künsten betrifft.

MODERATION

Wenn 1982 9,6 % aller US-Bürger wenigstens einmal pro Jahr ein Jazzkonzert besucht haben, später dann 10.8 %, im vergangenen Jahr aber nur noch 7.8 % - und wenn das Alter der Jazz-Konzertgänger kontinuierlich auf nunmehr 46 Jahre gestiegen ist - was bedeutet das für uns in Deutschland?

HANS NEUHOFF

Ich glaube, dass sich eine allgemeine Tendenz abbildet, die wir nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, in Deutschland feststellen können. Zum einen, das Publikum der verschiedenen Hochkultur-Formen wird älter, und es lässt auch zahlenmäßig nach. Nun muss man hinzufügen, dass bzgl. des Jazz die Angaben in dieser Untersuchung nicht ganz eindeutig sind. Denn es ist so, dass zunächst einmal von 1982-2002 die Werte nicht zurückgehen. Das heißt, die Anteile der Befragten, die in Jazzkonzerte gehen, bleibt gleich, steigt sogar leicht an. Erst von 2002-2008, also in diesen sechs Jahren, fällt das so stark ab. Und insofern stellt sich mir auch die Frage, was hierfür der Grund sein mag. In allen anderen Genres, also Besuch von klassischer Musik, Oper, Ballett, Museen usw ist ein kontinuierlicher Rückgang der Anteile festzustellen und auch ein kontinuierlicher Anstieg des Alters.

MODERATION

Es existiert in Deutschland keine der amerikanischen vergleichbare Untersuchung über einen längeren Zeitraum, noch dazu auf bundesweiter Ebene.
Wohl gibt Zahlen aus deutschen Jazzkonzerten selbst: aus den Jahren 1976, 1979, 1990 - und zuletzt 1999 in Berlin durch Hans Neuhoff.

HANS NEUHOFF

Und wenn man dort die Altersentwicklungen untersucht, dann zeigt sich auch sehr stark eben die Tendenz, dass das Publikum älter wird. Wir haben zwischen 1976 und 1999 eine Altersdifferenz von fast 17 Jahren festgestellt. Das ist natürlich methodisch nicht unproblematisch, d.h. man muss wirklich davon ausgehen können, dass die besuchten Veranstaltungen dasselbe Segment des Bereichs Jazz auch repräsentieren. Da kann man lange drüber streiten, ob das der Fall ist, trotzdem scheint mir die allgemeine Tendenz doch zweifelsfrei zu sein: das Jazzpublikum wird älter, und in den jüngeren Generationen findet der Jazz einfach nicht mehr die Resonanz. Es ist möglicherweise auch so, dass sich bestimmte Funktionen, die der Jazz gehabt hat, auf andere Genres übertragen haben. Etwa auf House in Deutschland. House ist als Clubkultur organisiert, so ähnlich wie der Jazz das lange Zeit auch war oder zum Teil noch ist. Und ich hatte oft den Eindruck, auch wenn ich mir so die sozialen Daten der House-Besucher, die wir also auch befragt haben, angesehen habe, dass da eine gewisse Korrespondenz war zu dem, was der Jazz einmal repräsentierte. Also eine gewisse eigenständige, auch sich abgrenzende, kritische, auch leicht elitäre Kultur, die ihre eigenen Orte hat, die ihre eigenen Kennerschaften ausbildet – auf der Grundlage übrigens einer sehr hohen Bildung auch dort.

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JULIA HÜLSMANN Gelb 4:49

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ZITAT SZ THOMAS STEINFELD 2007

Der Jazz ist, mehr noch als die Klassische Musik, eine bedrohte Kunstform, und schlimmer noch als die Klassische Musik scheint er mit den vertrauten Hörern zu altern und zu verblassen. Dieses Welken ist auch eine Konsequenz dieser Musik selbst, genauer eine Folge aus der engen Bindung eines vor allem improvisierten Genres an ein kennerschaftlich verfasstes Publikum, also an eine Gemeinde.

MODERATION

Auch dieses Zitat stammt von Thomas Steinfeld aus der Süddeutschen Zeitung, allerdings aus dem Jahre 2007. Ich habe es eher musikalisch verstanden und Steinfeld nach den unterschiedlichen Zeichen der Kennerschaft gefragt.

THOMAS STEINFELD

Das sie sich wenigstens bei der Besetzung ziemlich gut auskennen und bei den Namen der Leute, die mitspielen. So was gehört in einem großen, großen Maßstab zum Jazz, und zwar noch viel mehr als in der klassischen Musik. Aber das sind Dinge, die sie wissen. Es gibt Leute, die Ihnen alle Besetzungen hersagen können, in denen Bill Evans jeweils aufgetreten ist - und nicht wenige. Und dieses innige Verhältnis der Hörer zum Jazz, das hat von vorne herein zum Jazz gehört. Der Jazz hat auch Sammler hervorgebracht. Sammler in einem Umfang und in einer Intensität, wie es sie in der Klassischen Musik nur selten gibt, und zwar als ziemlich weit verbreitetes Phänomen. Ich kenne viele Menschen, die alle 1400 Platten besitzen, die ECM je produziert hat. Und solche Phänomene sind mir aus der Klassik nicht vertraut. Das hat etwas Eigenes. Denken Sie doch z.B. daran, welche Rolle der Standart im Jazz spielt, denken Sie an die Existenz eines Real Book - das können doch nicht nur die Musiker auswendig, das können die Hörer doch auch auswendig. Und ich habe nicht gesagt, dass da ein Gegensatz existiert zwischen der Klassischen Musik und dem Jazz. Ich würde daran festhalten, dass es im Jazz Formen des intensiven Hören gibt, die über das Kennerschaftliche in der Klassischen Musik noch weit hinaus gehen.

MODERATION

Prof Neuhoff von der Musikhochschule Köln hat das Steinfeld-Zitat ganz anders verstanden.

HANS NEUHOF

Also ich glaube eine Tendenz ist die Aussage richtig: der Jazz befindet sich da in Gesellschaft mit der Klassischen Musik. Vielleicht sieht es für den Jazz noch etwas schwieriger aus als für die Klassische Musik, weil er nicht ganz so institutionalisiert und etabliert ist wie die Klassik, also mit den großen Institutionen und auch den Fördersystemen. Die Klassische Musik ist auch sehr viel stärker gebunden sozusagen an den allgemeinen Bildungskanon noch und kann daher mehr noch aus dem jungen Publikum rekrutieren, als das für den Jazz gilt. Generell gilt die Perspektive, dass die Klassische Musik noch ungefähr 20 gute Jahre vor sich hat. D.h. die geburtsstarken Jahrgänge, also ungefähr 1955-1968, die kommen jetzt ins Konzertgeh-Alter. Und d.h., das Klassik-Publikum hat sozusagen noch eine große Rekrutierungsmasse, es wird in dem Zusammenhang altern, noch stärker als das jetzt ohnehin der Fall ist, aber es wird sich wahrscheinlich nicht verkleinern. Wenn dann der Pillen-Knick kommt, und die Jahrgänge verschlanken sich praktisch von Jahr zu Jahr, dann werden auch die Klassik-Institutionen in die Krise geraten. Ich fürchte, dass das für den Jazz noch früher eintreten wird, weil er eben nicht so breit aufgestellt ist wie die Klassik und auch nicht dieselbe Form von Zufuhr hat, eben aus den allgemeinen Institutionen wie die Klassische Musik.

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CHRISTOPH HABERER timewaves 3:12

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MODERATION

Warum schrumpft das Jazzpublikum?
Warum drücken nicht jüngere den hohen Altersdurchschnitt nach unten?
Könnte es auch damit zusammenhängen, dass der Jazz sein Alleinstellungsmerkmal als „Musik für Individualisten“ eingebüsst hat?
Prof Hans Neuhoff, Musikhochschule Köln.

HANS NEUHOFF

Wenn man solche großen Entwicklungen erklären will, wird es nie genügen auf einen einzelnen Faktor zurückzugreifen, sondern die können eigentlich nur stattfinden, wenn mehrere Faktoren in dieselbe Richtung wirken. Und in sofern ist die Frage völlig berechtigt, wie mir scheint, ob in der Zeit eines nachlassenden Individualismus eine Musikform, die sich stark damit verbindet, eben auch an Nährboden verliert. Das kann sein. Gleichzeitig gilt aber doch auch, dass der Jazz einen Prozess der Domestizierung und Akademisierung durchgemacht hat. Er wird heute an Hochschulen gelehrt, man kann seinen Master in Jazz erwerben, und Big Bands gibt es an Schulen und bei der Bundeswehr. (Der Jazz) ist irgendwie sehr vorzeigbar geworden. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass eben tatsächlich sein Kernpublikum etwas älter geworden ist, etablierter ist, seinerseits ist es ein sehr bildungshohes Publikum, das oft dadurch charakterisiert ist, dass es sich zunächst einmal durchsetzen muss, sozusagen gegen die Vorgängergenerationen, dann aber selber versucht, auch gute Positionen zu erlangen. Dass wir also heute beispielsweise an der Musikhochschule Köln als Prorektor einen Jazzer haben, das wäre sicherlich vor 30 oder 40 Jahren noch undenkbar gewesen.

MODERATION

1999, als Hans Neuhoff noch in Berlin arbeitet, hat er in seiner Untersuchung eine interessante Hörer-Typologie entwickelt.

HANS NEUHOFF

Wir haben in Berlin damals 20 Konzertpublika aller größeren Genres befragt, und haben in jeder Veranstaltung die Besucher auch gefragt: in Veranstaltungen welcher anderer Musikarten sie sonst noch gehen. Und mit dieser Grundlage habe ich eine Hörertopologie entwickelt. Da gibt es sozusagen die „reinen Hörer“, z.B. den nur-Klassik-Gänger oder den nur-Volksmusik-Gänger etc. Einen solchen Typus haben wir für den Jazz gar nicht feststellen können. Der Jazz-Gänger ist sehr offen, was unterschiedliche kulturelle Erfahrungsbereiche betrifft; der geht genauso in klassische Musik, Oper, Neue Musik oder auch bestimmte Formen von Rock-Musik, was man für kein anderes Genre von seinem Kern-Publikum so sagen kann. Das finde ich schon bemerkenswert. Das ist natürlich auch im Jazz in seiner ganzen Geschichte eigentlich schon angelegt, eine gewisse Offenheit, d.h. die Integration von Elementen unterschiedlicher Herkunft; hinsichtlich des Individualismus, den sie auch angesprochen haben, die Chance jedes einzelnen Musikers, sich in Improvisationsteilen selbst zu artikulieren und in seiner Individualität darzustellen. Gleichzeitig sich aber doch auch rückzubinden an eingeführte stilistische Formen. Da ist insgesamt eine Ausgewogenheit von verschiedenen Elementen und gleichzeitig eben auch diese Offenheit, Neues dabei zuzulassen. Ich glaube, das ist ein Charakteristikum des Jazz-Gängers allgemein.

© Michael Rüsenberg, 2009 Alle Rechte vorbehalten