Improvisation, eine Qualität des Lebens (5)

Von Keith Jarrett bis Angela Merkel

5. Politik & Philosophie

SWR 2, 29.06.2017

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… mit Michael Rüsenberg.

„Improvisation, eine Qualität des Lebens - von Keith Jarrett bis Angela Merkel“
Heute, in der fünften und letzten Folge der Reihe, kommen wir zu dem Abschnitt des Sendetitels, der regelmäßig Erstaunen hervorruft:
Keith Jarrett & Improvisation? - das ist selbsterklärend.
Aber, Angela Merkel & Improvisation?
In der nächsten knappen Stunde klären wir auf, mit Hilfe eines der bekanntesten deutschen Politologen, Herfried Münkler.
Und ganz zum Schluss wenden wir uns dann der alten Königsdisziplin der Wissenschaften zu: Improvisation in der Philosophie.

STERNAL/GRENADIER/BURGWINKEL Talking Politics 3:34


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Es wird in diesen Tagen wieder „Haltung“ von Jazzmusikern verlangt; die Forderung kommt von ihnen selbst, beispielsweise von Mark Turner und Christian Lillinger.
„Haltung“, was immer das sein, wie auch immer sie sich ausdrücken mag: es gibt erstaunlich wenige Kompositionstitel, in denen politische Begriffe wie „Demokratie“ oder überhaupt das Wort „Politik“ wortwörtlich
auftauchen.
„Talking Politics“, ist eine der seltenen Ausnahmen, „Talking Politics“ aus dem neuen Album „Home“ von Sebastian Sternal, Larry Grenadier, Jonas Burgwinkel.
Aber Achtung: diese Sendung handelt nicht vom Verhältnis Jazz & Politik, sondern von „Improvisation in der Politik“.

cover JG Wilson2014 erscheint dazu ein interessanter Band.
Da veröffentlicht der  amerikanische Historiker James Graham Wilson ein Buch unter dem Titel „The Triumph of Improvisation“ - der Triumph der Improvisation.
Die meisten Menschen werden sich darunter ein Buch über Jazz vorstellen. Und also auf dem Cover Fotos erwarten: von Miles Davis, John Coltrane, vielleicht auch Dave Brubeck.
In Wilson´s Buch aber kommt das Wort „Jazz“ gar nicht vor. Auch wird der Begriff „Improvisation“ nicht definiert.
Und auf dem Cover sieht man … Reagan und Gorbatschow, der Inhalt erschließt sich über den Untertitel:
ZITAT

„Gorbatschow´s Anpassungsfähigkeit, Reagan´s Engagement und das Ende des Kalten Krieges“.


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Das ist so verblüffend, dass man es kaum glauben mag: das Ende des Kalten Krieges soll improvisiert worden sein?

JÖRG BABEROWSKI
Baberowski buchladen 1Ja, das stimmt, weil alle Menschen glauben, dass Politik von langfristigen Strategien, Plänen, Absichten handelt. Und dass die Protagonisten des Politischen auch so handeln, indem sie ihre langfristigen Ziele verwirklichen.
Das ist aber nicht so.
Wir glauben das, weil es uns das Gefühl gibt, dass wir in richtigen Händen sind. Dass die Pläne und die langfristigen Ziele auch verfolgt werden. Aber, Politik ist Improvisation, wie vieles andere eben auch.

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Jörg Baberowski, Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität, Berlin. Er hat die Studie von Wilson für die FAZ rezensiert, und er stimmt ihr zu.
 
JÖRG BABEROWSKI
Wenn ein Politiker sagt, dass er nur improvisiere, dann würde man ihn sofort abwählen. Weil, das ist nicht das, was der Bürger will. Der Bürger  will vorausschauende Alleswisser. Und wenn improvisiert wird, dann wird immer gesagt: das steht im Parteiprogram, das sind unsere Ziele, die auf verschlungenen Wegen zu sich kommen. Das sagen Politiker immer. Aber es ist natürlich nicht so.

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Mit Jörg Baberowski habe ich vor einem Jahr gesprochen.
Auf die Frage, wer unter Politikern denn durch Improvisation hervorgetreten sei, fiel ihm ein Name ein, den heute zu nennen, besonders aktuell ist:

JÖRG BABEROWSKI
Von Helmut Kohl wissen wir, dass das kein großer Stratege war. Aber, er war einer, der in den Situationen stets improvisieren und dann das Richtige tun konnte. Deshalb war er der richtige Mann zur richtigen Zeit; und zwar weil er eben überhaupt kein Stratege war.

GOEBBELS & HARTH Paradies und Hölle können eine Stadt sein 4:42


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Ronald Reagan, Präsident der Vereinigten Staaten von 1981 bis 1989.
Bei Heiner Goebbels & Alfred Harth taucht er 1984 mit einem akustischen Zitat aus seiner Zeit als Schauspieler auf; in der Bearbeitung einer der fünf „Hollywood-Elegien“ von Hanns Eisler.

SWR2 NOW JAZZ, „Improvisation, eine Qualität des Lebens - von Keith Jarrett bis Angela Merkel“, heute: Improvisation in der Politik.
Der Begriff selbst findet sich in der politischen Literatur übrigens gar nicht so selten, überwiegend aber in einer negativen Bewertung, wie sie der Historiker Baberowski vorhin skizziert hat.
Ein aktuelles Beispiel aus der Washington Post über den kubanischen Präsidenten Raúl Castro:


ZITAT
„Sein Leben ist vom Militär bestimmt, er schätzt Planung, Bescheidenheit und Vorbereitung, und er verwendet das Wort „Improvisation“ in einem negativen Sinn.“

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Oder hier, vor wenigen Wochen, die Neue Zürcher Zeitung:

ZITAT


„Stattdessen ist sein (Trumps) Führungsstil geprägt von ständiger Improvisation und Bauchentscheidungen. Das sind Rezepte für ein klägliches Scheitern.“  

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Schließlich, der niederländische Migrationsforscher Paul Scheffer, Ende Mai in der FAZ:


ZITAT
„Ich werfe ihr (Angela Merkel) nicht vor, dass sie 2015 improvisiert hat. Das war eine akute Krise, auf die sie rasch reagieren musste. Doch sie hat aus dieser Improvisation mit der „Willkommenskultur“ ein moralisches Prinzip gemacht…“  

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Jetzt sind wir beim Kern der Sendung: Politik und Improvisation, genauer: Angela Merkel und Improvisation.
Hat die deutsche Kanzlerin 2015, bei der Grenzöffnung für Flüchtlinge, improvisatorisch entschieden?

PAOLO RUSTICHELLI Merkel 3:48


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Große Überraschung. Zum Spaß, wirklich nur zum Spaß, habe ich in die Datenbank meiner Tonträger den Suchbefehl „Merkel“ eingegeben.

Und tatsächlich kommt ein Stück dieses Titels heraus: 1992, auf einem Album des italienischen Soft-Jazzers Paolo Rustichelli.
Der kann die deutsche Kanzlerin auch deshalb nicht gemeint haben, weil er eingangs singt: „Merkel was born in Brazil“.

ANGELA MERKEL
Deutschland ist ein starkes Land. Und das Motiv, in dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: wir haben so vieles geschafft -
wir schaffen das!

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Der berühmte Satz von Angela Merkel vom 31. August 2015; ein Satz von großer historischer Bedeutung, er enthält das Signal, die deutschen Grenzen für hunderttausende Flüchtlinge zu öffnen.
Inzwischen liegt ein Buch vor, das die Entscheidungsprozesse vor und nach dem 31. August 2015 en detail nachzeichnet:
Robin Alexander: „Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht“.
Ein Kernsatz daraus:

ZITAT
In Wahrheit war nichts Strategie und alles Improvisation.“

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„Strategie“ und „Improvisation“. Wie ist ihr Verhältnis zueinander?
Schließen sie einander aus? Oder, ist das eine vielleicht Voraussetzung für das andere?
Hier sind wir bei den Kernfragen eines Streites aus dem Frühjahr 2016, der uns gleich näher beschäftigen wird: der Streit zwischen Peter Sloterdijk, Philosoph aus Karlsruhe und Herfried Münkler, Politikwissenschaftler aus Berlin, über den Begriff „Improvisation“.  In der Politik.

JACK BRUCE Politician 5:39



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Es versteht sich von selbst, dass dann, wenn es um Politiker geht, der „Politician“ gespielt werden muss, wie ihn Jack Bruce besungen hat, 1968 zuerst mit Cream, hier 1993 live in Köln.
SWR2 NOW JAZZ, gibt es Improvisation auch in der Politik?
Wir rekonstruieren einen Disput zwischen zwei deutschen Intellektuellen im Frühjahr 2016, ausgelöst durch die Flüchtingspolitik von Angela Merkel.
Zunächst der Philosoph Peter Sloterdijk aus Karlsruhe, mit einem zentralen Satz eines Essays aus der Wochenzeitung „Die Zeit“:

ZITAT
„Politik in der überkomplexen Moderne ist in weitaus höherem Maß improvisatorisch bestimmt, als das Wahlvolk, das lieber an eine weit planende Intelligenz von oben glaubt, wahrhaben möchte.“

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Sloterdijk´s Kontrahent ist Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humbold Universität, Berlin.
Er hat eine ganz andere Auffassung von „Improvisation“, aber auch von „Strategie“ und „Taktik“, und er bestimmt die drei Begriffe im persönlichen Gespräch. Es fand im Juni 2016 statt.

Münkler liebt es, Modelle aus der Militärhistorie heranzuziehen; sie haben im aktuellen Fall nichts mit der Flüchtlingsfrage zu tun.


HERFRIED MÜNKLER

herfried muenklerAlso, entscheidend ist immer, wie man Improvisation versteht. Da ist es ganz gut, wenn man gewissermaßen am Modell der Musik bleibt. Es gibt das, was zunächst einmal feststeht.
Oder man könnte sagen, es gibt so etwas wie einen strategischen Entwurf im Krieg, in der Politik, einen Aufmarschplan, die Verteilung der Kräfte - das alles kann man bei Clausewitz sehr schön nachlesen.
Und daneben gibt es, gewissermaßen in abgeschwächter Form, sehr viel kurzfristiger gedacht: Taktik, also zuzusagen ein Reagieren aufeinander im Angesicht des Anderen.
Bei der Strategie, beim Plan, den man sich gemacht hat, da ist der anderen nur eine abstrakte Gegengröße.
Taktik heisst: jetzt sehe ich ihn, jetzt sehe ich, was er macht, wie er sich disponiert hat, reagiere darauf. Und jetzt kommt dann die Situation, in denen die Auseinandersetzung läuft. Und da ist dann letzten Endes Improvisation, nämlich Reagieren auf die Veränderung in der Herausforderung. Das kann ein anderer sein, das kann der General der anderen Seite sein, das kann aber auch eine Veränderung der politischen Landschaft sein in dem Sinne, dass plötzlich Flüchtlingsströme anwachsen und immer größer werden.
Sodass also Improvisation in der Regel nichts ist, was völlig frei und - wie sagt man so schön im Deutschen? - „aus dem hohlen Bauch heraus“ (geschieht). Sondern eigentlich ist Improvisation gleichsam die Variation von strategischen und taktischen Dispositionen, bei der die Stäbe im Hintergrund stehen.

NIR FELDER Sketch 2 5:04


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„Shining City on a hill“ - die leuchtende Stadt auf dem Hügel - mehrere US-Präsidenten haben diese Metapher in ihren Reden verwandt, um Amerika und ihre Politik dafür zu loben.
Hier setzt der amerikanische Jazzgitarrist Nir Felder eine Rede des schwarzen Aktivisten Malcolm X dagegen, worin der diejenigen aufzählt, denen es auf diesen Hügel nicht wirklich gut geht.
Ein Stück aus Nir Felders Album „Golden Age“, 2014.

ANGELA MERKEL


Wir haben so vieles geschafft - wir schaffen das!

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Nun endlich die Gretchenfrage: ist dieser Satz von Angela Merkel Ausdruck von Improvisation?

HERFRIED MÜNKLER
Also, in dem Spiel „Politik mit vielen Unbekannten“ hat sie, glaube ich, eine relativ rationale Entscheidung getroffen - improvisatorisch zugegebenermaßen. Aber was sie natürlich nicht auf der Rechnung hatte, war die kulminierende Entsolidarisierung der anderen Europäer, also die inneren Spaltungslinien in Europa.
Und ob das am Schluss aufgeht, das muss man sehen. Aber das gehört natürlich zu strategischen Plänen wie zu Improvisation, dass sie im Hinblick auf die angestrebte Lösung auch scheitern können.
Wer von uns wollte denn eigentlich glauben, das sei prinzipiell ausgeschlossen. Das gehört dazu.

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Herfried Münkler. Er lehrt Politische Theorie an der Humbold Unversität, Berlin. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt jüngst seinen Ruf als den des „ersten Staatsphilosophen“ des Landes.

HERFRIED MÜNKLER
Der große, also der ältere Moltke hat einmal gesagt, strategische Pläne würden die ersten Stunden ihrer Durchführung nicht überstehen. 
Leute, die wenig Ahnung haben, wie Peter Sloterdijk, glauben, das spreche gegen Strategie. Nein, nein, es spricht zunächst mal für Strategie. Ich muss im Prinzip Pläne haben, damit ich in der Lage bin zu improvisieren. Damit Improvisation mehr ist als nur „naja, ich stell´ mich mal hin und mache mal, was mir gerade einfällt!“
Sondern, Improvisation ist eigentlich auch harte Arbeit. Sie beruht auf sehr viel Training von Urteilskraft. Und wenn man darüber nachdenkt, kriegt man, glaube ich, einen sehr viel klügeren Begriff von Improvisation, gerade in der Politik.
Improvisation sagt zunächst mal gar nichts. Was dabei entscheidend ist, ist die Frage: wer improvisiert?

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Entscheidend auch, was improvisiert wird. Aber, wo kommt die Fähigkeit zu improvisieren eigentlich her? Ich lege dazu auch Herfried Münkler eine Definition von Improvisation aus der neurowissenschaftlichen Musikforschung vor, die sich in dieser Reihe mehrfach bewährt hat.
Demnach ist Improvisation eine motorische Handlung, die auf jahrelangem Üben basiert. Man lerne, ja „überlerne“ musikalische Muster, die im Moment des Improvisierens neu kombiniert werden.
Kann Münkler damit etwas anfangen?

HERFRIED MÜNKLER
Sehr viel. Das ist ungefähr das, was ich „Urteilskraft“ genannt habe, ein Begriff, der bei Kant ja eher an der Ästhetik geschult wird. Urteilskraft also als die Fähigkeit, aus seinen vorher wohl-trainierten, geübten Fähigkeiten heraus in einer ganz bestimmten Situation das Richtige zu treffen. Das ist der Punkt.

WAYNE HORVITZ An open letter to George Bush 6:47


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Dieses Stück ist insofern eine große Rarität im Jazz, als es einen dezidiert „politischen“ Titel trägt: „An open Letter to George Bush - ein offener Brief an George Bush“.
Wayne Horvitz. 1992. Insofern ist klar, welchen der beiden Präsidenten dieses Namens er meinte: Georg Bush, den Vater.

CASSIBER 2 O´clock in the Morning/Philosopher 2:40


ANDREAS URS SOMMER
   
Zum einen ist es sicher richtig, dass ich eine positive Beziehung zwischen Improvisation und Philosophie sehe. Und auch sehe, dass die Improvisation in der Philosophie unter Wert behandelt wird.

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Andreas Urs Sommer, ein Schweizer Philosoph, der an der Universität Freiburg im Breisgau lehrt.
Wir sind im letzten Kapitel der Reihe, beim Thema Philosophie & Improvisation.

ANDREAS URS SOMMER

Andreas Urs Sommer 1Es wird viel mehr improvisiert, als man zugibt. Man tut ja immer so, wals würden sich die Dinge in strenger Notwendigkeit ergeben. Ich glaube nicht an so etwas wie strenge Notwendigkeit im Denken. Im Gegenteil scheint mir die Fantasie als das am meisten unterschätzte Vermögen unter den Philosophen zu sein.
Philosophie suggeriert gerne, sie sei eine notwendige Antwort auf notwendige Fragen, aber ich glaube weder an die notwendigen Fragen noch an die notwendigen Antworten. Und die besten Philosophen - zumindest die, die mich am meisten beeindrucken, sind die, die immer wieder Überraschungen bereit halten weil sie eben nicht imm er dieselben Anworten geben.
Entsprechend würde ich die Philosophen, die die besten Improviationskünstler sind - auch wenn sie das nicht zugeben würden - für diejenigen halten, die mich am meisten selber zum Nachdenken oder soll ich sagen Improvisieren bringen.

MILES DAVIS Fantasy 4:38


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„Fantasie - das am meisten unterschätzte Vermögen unter Philosophen“, wie Andreas Urs Sommer sagt.
Im Jazz kann man diesem Begriff kaum entkommen. Und doch fällt auf, dass er unter Kompositionstiteln sehr selten allein, freistehend, zu finden ist, wie hier bei Miles Davis, „Fantasy“, aus seinem HipHop-album „Doo bop“, 1991.
Apropos, Fantasie & Philosophie; wer unter den Philosophen wäre denn ein improviserender? Andreas Urs Sommer:

ANDREAS URS SOMMER

Nietzsche 1Ja, ein Name wäre sicher Nietzsche, der versucht hat, schon in festen Begriffen zu denken. Aber da, wo er so etwas wie Lehren oder letzte Metaphern für die Wirklichkeit findet, ist er eigentlich am wenigsten ansprechend.
Er ist immer dann ansprechend, wo er auf Situationen - das ist bei ihm auch häufig eine Lektüre - reagiert und etwas völlig Neues daraus macht.
Ich bin damit beschäftigt schon seit einigen Jahren, Nietzsche zu kommentieren, und es ist mir noch keinen Tag langweilig geworden dabei, weil er jeden Tag etwas Neues bereithält. Und ich wundere ich immer, weil ich dachte, ich kenne das Zeug eigentlich, aber ich stelle immer wieder fest, ich kenne es dann doch nicht.
Wenn man die Improvisation ernst nimmt und nicht immer gleich sagt „wir müssen das zurück buchstabieren auf die und die Hauptlehre“, dann ist es ausgesprochen befreiend.

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Sommer nennt außer Nietzsche noch Montaigne, Wittgenstein und aus der Gegenwart Richard Rorty. Aber bleiben wir bei Nietzsche; wie kann Andreas Urs Sommer sicher gehen, dass jener improvisiert hat - er konnte ihm doch nicht in den Kopf schauen…

ANDREAS URS SOMMER

Das ist völlig richtig. Ich kann Nietzsche beispielsweise nicht in den Kopf gucken und auch sonst keinem Kollegin oder Kollegen, seien sie nun lebend oder seien sie gestorben. In der Tat ist es dann interessant, wen wir jetzt die Vorlage haben. Und wir haben sie jetzt im Falle Nietzsches häufig in Form von Lektüren. Wir sehen, er hat dieses oder jenes gelesen, er hat da Lesespuren hinterlassen, dann sieht man sozusagen, wie er in seinem eigenen Gedankenflug da völlig neue Wege beschreitet auf der Grundlage dessen, was er da gerade rezipiert hat und das dann auch auf verschiedenen Stufen der Verarbeitung, bis es etwa in einen Aphorismus eingeht mit einem Werk, dokumentiert findet.

MICHAEL WOLLNY TRIO Fragment an sich II 2:47


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Friedrich Nietzsche, 1844 bis 1900, ist in erster Linie als bedeutender Philosoph bekannt. Aber, er hat auch komponiert.
Wer das nicht wusste, der konnte es 2014 auf dem Album „Weltentraum“ vom Michael Wollny Trio lernen, dort interpretiert es zum Beispiel „Fragment an sich“ von Friedrich Nietzsche.

VIJAY IYER TRIO Geese


MODERATION
SWR 2 NOW JAZZ, „Improvisation, eine Qualität des Lebens -
von Keith Jarrett bis Angela Merkel“.
Die Reihe hat in fünf Folgen Formen der Improvisation in vielen Bereichen des Lebens gesucht - und gefunden, nahezu überall; außer im Bereich der Zell-Biologie.
Niemand hat das quasi uferlose Vorkommen der Improvisation so auf den Punkt gebracht wie einer „aus unseren Kreisen“. Seine Musik klingt schon an, er ist einer der Intellektuellen des Jazz: Vijay Iyer.

Zitat VIJAY IYER
Der Bereich des improvisatorischen Verhaltens ist so riesig, das es leichter sein mag, Verhalten anzuführen, das nicht improvisiert ist - das Durchführen von Routinen, Plänen, Checklisten, Feiern, Zeremonien, notierten Aufführungen durchkomponierter Werke.
Es scheint, als sei dieser Bereich nicht-improvisierten Verhaltens die große Ausnahme, eine relativ kleine (aber wichtige) Teilmenge des menschlichen Verhaltens.

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Das war SWR 2 NOW JAZZ, „Improvisation, eine Qualität des Lebens - von Keith Jarrett bis Angela Merkel“, eine Reihe in fünf Teilen.
Am Mikrofon verabschiedet sich Michael Rüsenberg.
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 © Michael Rüsenberg, 2017
Alle Rechte vorbehalten

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