Der Zapper.

Heiner Goebbels zum Fünfzigsten

WDR 3, 17.08.2002

ENSEMBLE MODERN Text Machine (M: Heiner Goebbels) 3:31

BMG 09026 68870 2 ; LC-Nr 0316

CD: Black on White


HEINER GOEBBELS

Eine der wichtigsten Arbeiten ist, erst mal all das zu lassen, was einem sofort einfällt. Und dazu braucht man viel Zeit.
Und was dann am Ende noch übrigbleibt, was man komponieren kann - das geht dann auch relativ schnell!
Ich bin niemand, der mit zeitgenössischer Musik aufgewachsen ist, sondern mit Klassischer Musik und mit Popmusik. Ich habe im Schulorchester gespielt und habe dann eine Band gehabt. Ich habe mit meinem Vater BRAHMS und BACH gehört und donnerstags abends die Schlagerbörse mit HANS WERRES.
Und kann mich heute noch erinnern an bestimmte Tage, an denen zum ersten Mal ein neuer BEACH BOYS-Song vorgestellt wurde oder "Lady Madonna". Und ich würde sagen, von meine Biografie her bin ich mindestens zur Hälfte - wenn nicht mehr - von der Popmusik mitgeprägt und habe auch nie etwas anderes behauptet. Deswegen ist für mich auch der Einfluss der Popmusik oder die Impulse, die Popmusik mir gegenüber geben, die sind keine aufgesetzten Partikel, die sozusagen als Fremdkörper in meiner Arbeit irgendwie zitiert werden, sondern die sind handfeste Wurzeln.
Und ich denke, zeitgenössische Musik habe ich wahrscheinlich zum ersten Mal gehört, also mit Bewusstsein wahrgenommen, da war ich wahrscheinlich schon Anfang oder Mitte zwanzig.


HEINER GOEBBELS Zeitwetterkotfleischmetallsteinrost 4:3

(T: Heiner Müller, M: Heiner Goebbels)

ECM 1452-54; LC-Nr2516

CD: Hörstücke


HEINER GOEBBELS

Eine grosse Rolle wiederum spielte die zeitgenössische Kunst. Ich habe als Schüler Mitte der 60er, ja Ende der 60er Jahre angefangen, mich sehr dafür zu interessieren, bin viel in Ausstellungen geangen, zur DOCUMENTA gefahren, in Museen, habe Zeitungsartikel damals sehr aufmerksam verfolgt. Und ich glaube, dass der Einfluss der zeitgenössischen Kunst, der Bildenden Kunst wahrscheinlich wesentlich grösser auf mich war als der von zeitgenössischer Musik.

Mein erstes STOCKHAUSEN-Stück habe ich gehört, da war ich - wie gesagt - Mitte zwanzig, vielleicht sogar später.


JOSCHKA FISCHER, Bundestagssitzung vom 17.1.01 (läuft durch)


HEINER GOEBBELS

Ja, natürlich kennen wir uns. Wir haben auch im selben Block gewohnt: *Schumannstrasse/Bockenheimer nimmt uns keiner!* war so ein besetztes Haus...waren eigentlich 3 besetzte Häuser, die Anfang der 70er Jahre eigentlich das Zentrum der Frankfurter Sponti-Bewegung dargestellt haben. Und da war JOSCHKA natürlich eine führende Figur. Ich war sozusagen in aller hinterster Front Mitläufer und ein ängstlicher noch darüberhinaus. Ich war gerade nach Frankfurt gekommen, bin da durch einen - wie ich im nachhinein sagen würde - einen glücklichen Zufall reingekommen.


JOSCHKA FISCHER, Bundestagssitzung vom 17.1.01

HEINER GOEBBELS

Es gab 2 Fraktionen: es gab die vorne zur Strasse raus, das waren auch die Aktivisten, das war JOSCHKA und die ganze Crew um ihn herum. Und es gab in der Schumannstrasse, also um die Ecke, ein bisschen abgelegener schon, gab es die Intellektuellen-Front. Da wohnten die Germanisten, die Musiker, die Philosophen. Und da hatte es mich reinverschlagen.

JOSCHKA FISCHER, Bundestagssitzung vom 17.1.01

HEINER GOEBBELS

Und diese Trennung wurde ja auch nie aufgehoben. Also später bei den Demonstrationen, wenn ich da mit dem SOGENANNTEN LINKSRADIKALEN BLASORCHESTER da auftauchte, waren wir natürlich nicht diejenigen, die angaben, wo´s langging. Sondern wir wurden dann, wenn es dann heikel wurde und die Situation brenzlig, auch schon mal von JOSHKA und von DANNY in die erste Reihe geschickt, um ein bisschen mit Musik die Situation zu entschärfen.


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Vorspiel und Gedanken

über die Rote Fahne (M: Hanns Eisler) 1:14

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


JOSCHKA FISCHER, Bundestagssitzung vom 17.1.01


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Rote Sonne 2:24

(M: trad, B: Heiner Goebbels)

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


JOSCHKA FISCHER, Bundestagssitzung vom 17.1.01


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Grossvater Stöffel 0:37

(M: Hanns Eisler, T: Bertolt Brecht)

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


HEINER GOEBBELS

So muss man sich das vorstellen. Also es gab da keine Hierarchien nach aussen hin, aber doch natürlich Prioritäten, und die waren bei mir nicht auf dem Strassenkampf, sondern die lagen eigentlich da drin, auf einer musikalischen Ebene einzulösen, was man als Lebenszusammenhang in so einem besetzten Block, was wirklich eine ganz wunderbares und kreatives Zusammenleben war, von sehr verschiedenen Fraktionen, Einflüssen und auch Konfrontationen ...das in Musik umzusetzen. Das war z.B. damals der Plan mit dem Blasorchester.


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Verstandsaufnahme 3:04

(M: Heiner Goebbels, T: Erich Fried)

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


HEINER GOEBBELS

Es ist nicht zu übersehen, dass aus dem Kreis derjenigen, die damals aktiv waren und wo ich - wie gesagt - nur am Rande dazuge-hörte, sehr viele Leute sich auch jetzt einen starken Platz erobert haben. Ob das der KLAUS TREBES mit seinem Gagantua-Restaurant ist, der sich unter die besten Restaurants in Deutschland gekocht hat. Oder ob es MATHIAS BELTZ war, der ja leider verstorben ist, als Kabarettist einer der klügsten dieses Genres, oder vielleicht jemand, der klüger war als das Genre selbst.
Oder DANIEL COHN-BENDIT, oder...es gibt eine ganze Reihe von Figuren aus dieser Zeit, aus dieser Szene, die jetzt einen durchaus originären oder solitären kulturellen oder politischen Platz haben können. Und das hat sicher etwas mit der grossen Freiheit oder Frechheit, mit der man damals Dinge behauptet hat oder sie auch versucht hat durchzusetzen - aber eben nicht alleine durchzusetzen, sondern in einem ständigen Team. Damit hat es bestimmt was zu tun.


HEINER GOEBBELS/ALFRED HARTH Der zerrissene Rock 2:47

(M: Hanns Eisler)

SAJ-08; LC-Nr 4564

LP: Vier Fäuste für Hanns Eisler (1977)


CHRISTOPH KORN

Goebbels und Harth waren Bezugspunkte einer für mich gelungenen Eisler-Rezeption und Eisler-Bearbeitung. Dieser ganze "schnoddrige" Gestus bei den beiden, wenn die den Brecht/Eisler angepackt haben, das hatte nichts mehr zu tun mit diesem ganzen akademischen Muff, unter dem vor allem der Eisler auch immer wieder dargeboten wurde. Sondern die arbeiteten mit den Mitteln der Rockmusik, der Improvisation, mit allen Stilmitteln auch, die dort vorzufinden sind, den Brüchen, den Ungereimtheiten. Und - Brecht/Eisler wurden letztendlich durch diese Arbeiten auch wieder zu etwas zurückgeführt, nämlich zu so einer Art sozialen Bewegung. Sie hatten wieder einen Gebrauchswert durch diese zwei bekommen.


MODERATION

Frankfurter Kontinutität: Christoph Korn, 13 Jahre jünger als Heiner Goebbels.


OLIVER AUGST, MARCEL DAEMGEN, CHRISTOPH KORN

Und ich werde nicht mehr sehen das Land, aus dem ich gekommen bin

(M: Hanns Eisler, T: Bertolt Brecht, B: Marcel Daemgen) 3:05

Efa/TextXTND 00051-2; LC-Nr 10001

CD: Arbeit


CHRISTOPH KORN

Wir haben Brecht/Eisler-Lieder bearbeitet auf dieser Brecht/Eisler-CD, weil wir das durchaus initiieren wollten, diese Tradition wahrzunehmen. Und sie haben das ja im Duo den Brecht/Eisler damals ja noch im Gestus - sagen wir - der sozialen Bewegung angepackt. Wir haben das sehr viel artifizieller, künstlicher, nicht mehr so sehr in diesem kämpferischen Duktus vorangetrieben. Aber diese Bezugnahme auf diese zwei gibt es.
Und z.B. auch das Sogenannte Linksradikale Blasorchester taucht jetzt auch wieder in einer neuen Produktion von mir auf. Es geht nämlich um ein Projekt fürs Deutschlandradio, das heisst: "Arbeit an Marx", und dort habe ich mir ein Stück rausgesucht, das ich auch vertonen werde, nämlich "Hälfte des Lebens" von Hoelderlin, was seinerzeit das Linksradikale Blasrochester auf den Strassen hier in Frankfurt, im umkämpften Frankfurter Westend, gespielt hat, nämlich in einer Vertonung von Heiner Goebbels. D.h. also das Projekt "Arbeit an Marx". Betonung auf AN Marx, greift jetzt sowas wieder auf. Weil sozusagen dieses *an Marx*, darunter subsumiere ich durchaus auch den Frankfurter Häuserkampf in den 70er/80er Jahren, in dem dieses Lied dann - *Hälfte des Lebens*, dieses Hoelderlin-Lied in der Vertonung von Goebbels - auftaucht.

 


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Hälfte des Lebens 2:36

(T: Hoelderlin, M: Heiner Goebbels )

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


HEINER GOEBBELS

Als vor wenigen Jahren die beiden LPs des LINKSRADIKALEN BLASORCHESTERS in einer CD zusammengefasst wurden, war mein Eindruck, dass diese Zeit vielleicht doch viel zu sehr betont wird in Relation zu dem, was Sie heute vorlegen.
Ja den Eindruck hatte ich auch, vor allen Dingen weil die Arbeiten, die ich danach gemacht habe in den 80er Jahren, ob das mit dem Duo mit ALFRED HARTH war oder mit CASSIBER oder dann später die ersten szenischen Versuche, die keineswegs als schwächer angesehen habe.
Aber, ich würde nicht abstreiten, dass eine solche Kultur, politische Kultur und Lebenskultur, einfach generell einen ganz anderen Entwurf auch von künstlerischer Praxis befördert hat, der dem autoritären und totalitären Gefüge, was es in der Kunst gerade auf dem Theater ja so sehr im Vordergrund steht, eine Alternative bietet. Eine Alternative, die offenbar zu sehr vielen schönen Dingen in der Lage ist


SOGENANNTES LINKSRADIKALES BLASORCHESTER Tschüss 1:33

(M+T: Lietz, Kubiczek)

Trikont CD 0258-2; LC-Nr 4270

CD: Sogenanntes Linksradikales Blasorchester


HEINER GOEBBELS

Ich glaube z.B. die Erfahrung, die ich im BLASORCHESTER machen konnte, mit hochkarätigen anderen Musikern zusammen natürlich, wie ROLF RIEHM oder ALFRED HARTH - aber trotzdem zu merken: man nimmt auch den Einwand des Klarinettisten ernst oder desjenigen, der wirklich nur Hobby-Flöter ist. Und der Zusammenhang, der ausserhalb der Musik steht, diktiert eigentlich die Kriterien, nach denen man sich trifft und nach denen man arbeitet. Das ist etwas, das unglaublich wertvoll ist für die künftige Arbeit. Sich selber nicht so wichtig zu nehmen, einem Kollektiv zu vertrauen, das die gleichen Interessen hat - das ist etwas, das mir heute in der Arbeit mit dem ENSEMBLE MODERN unglaublich viel hilft.
Und was mir hilft, aus einem solchen doch so komplexen und widersprüchlichen Kollektiv wie dem ENSEMBLE MODERN mit sehr vielen verschiedenen kulturellen Herkünften, Biographien - da ist ein Inder, eine Japanerin, da sind Amerikaner, Franzosen, Australier - aus diesem Kollektiv sozusagen eigentlich die Möglichkeiten zu katapultieren und sie nicht als Einschränkung der eigenen Freiheit zu nehmen. Und ich denke, das hat auch in dieser Zeit seine Wurzlen.


HEINER GOEBBELS Berlin Q-Damm 12.4.81 5:10

(M: Heiner Goebbels)

Eva (Japan) wwwcx2042

CD: Goebbels Heart


HEINER GOEBBELS

CHRIS CUTLER hatte mich beauftragt, für eine Sample-LP ein Stück zu schreiben. Das war damals ann meine erste Studio-Soloa beit eigentlich, BERLIN Q-DAMM, habe ich ihm geschickt, als es fertig war. Und dann schrieb er zurück: bevor ich nächstes Mal die Rhythmusmaschine einschalte, soll ich ihn doch lieber anrufen - und so ist CASSIBER entstanden.


CASSIBER At last I am free 3:47

(M: Nile Rogers)

ReR CCCD 3; LC-Nr 2677

CD: Beauty and the Beast


HEINER GOEBBELS

MR: Es gibt noch einen anderen Aspekt, der glaube ich, wichtig ist für die Ästhetik von HEINER GOEBBELS: 1984, auf einem CASSIBER-Album erscheint eine Disco-Nummer letztlich, "At last I am free". Und mir scheint, dieses Stück wird immer wieder zitiert und hat sogar seinen Nachhall auch in der Arbeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie.

Wieso?

MR: Das klingt nach, dieser Soul-Einfluss. Ich würde sogar soweit gehen und zu fragen: die drei HORATIER Songs, kann ich die auch als Soulmusik hören?
Ich meine, ich tue es - aber ist der Komponist abgeneigt, wenn er das hört?

Überhaupt nicht. Im Gegenteil, ist ein grosses Kompliment. Und die Wahl der Sängerin JOCELYN B. SMITH geht natürlich genau auch in diese Richtung.
Diese richtige Soul-Nummer kannte ich gar nicht. Ich kannte die sehr gebrochene und fragile, zarte Bearbeitung von ROBERT WYATT.


ROBERT WYATT At last I am free 1:08

(M: Nile Rogers)

Rough Trade 6005139; LC-Nr 5661

Maxi-Single


HEINER GOEBBELS

Und die nachsingend, hat sich aber dann durch die Besetzung mit CASSIBER, mit CHRIS CUTLER und auch den anderen Musikern, auch dem Saxophon von ALFRED HARTH, hat sich im Grunde wieder etwas eingeschlichen, was dem Original näher kam - nämlich das, was Sie gerade mit "Soul" bezeichnen.

MR: Aber das ist ein Einfluss bei Ihnen, die Soulmusik?

Ja, natürlich.
Ich finde auch heute noch die schwarze Musik der 60er, 70er Jahre mit das Beste, was der Pop hervorgebracht hat. STEVIE WONDER, JIMI HENDRIX, das ganze - wie heisst das Label - die ganze MOTOWN Musik hat mich sehr geprägt.


JUNGE DEUTSCHE PHILHARMONIE

So that the Blood dropped to the Earth 6:34

(M: Heiner Goebbels, T: Heiner Müller)

Jocelyn B. Smith, voc

ECM New Series 1688; LC-Nr 2516

CD: Surrogate Cities


DAVID MOSS

Was ich finde wunderbar: Heiner hat immer Interesse auf starke Personalität, auf Performers und auch interessante Musiker mit stärke Ideen. Und manche oder viele Komponisten, sie arbeiten nur im Kopf, mit Tonen, mit sound. Und Heiner denkt immer über: ah, ja, diese Mensch, diese Frau macht einen wunderschönen Klang - das muss ich benutzen. Oder dieser Mann hat eine fantastische Präsenz auf der Bühne. Ich muss das auch benutzen. Und das finde ich ganz selten in zeitgenössische Komponisten und wunderbar eigentlich.


JUNGE DEUTSCHE PHILHARMONIE

Dwell where the Dogs dwell 5:17

(M: Heiner Goebbels, T: Heiner Müller)

Jocelyn B. Smith, voc

ECM New Series 1688; LC-Nr 2516

CD: Surrogate Cities

MUSIK

HEINER GOEBBELS Fin du bois du pins 0:47

(M: Heiner Goebbels; T: Francis Ponge)

ECM 1552; LC-Nr 2516

CD: Ou bien le débarquement désastreux


HEINER GOEBBELS

MR: ANDRE WILMS hat einmal gesagt: Heiner Goebbels, das ist ein Zapper!

Ich bin sehr ungeduldig, das ist richtig. Und wenn mir jemand beim Fernsehgucken, dann wird der noch ungeduldiger, weil ich ein grosses, tatsächlich ein grosses Tempo habe, da zwischen den Kanälen zu wechseln.

Gleichzeitig habe ich aber auch - und das kann man dann sagen, enn man 50 wird - eine ganz grosse Kontinuität in meinen Arbeiten. Also nicht nur in meinen Arbeiten. Man kann, wenn man zurückverfolgt, ob zum BLASORCHESTER oder zu so Stücken wie BERLIN Q-DAMM, kann man, glaube ich, auch ästhetisch eine grosse Kontinuität beobachten oder eine Entwicklung, die sich vielleicht immer mehr auch zu anderen Medien hin öffnet, aber die nicht von radikalen Brüchen gekennzeichnet ist.

Auch der Blick auf die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, beweist das, glaube ich, auch. Also gerade mit ANDRE WILMS arbeite ich seit über 10 Jahren zusammen, mit STÖTZNER habe ich schon im SOGENANNTEN LINKSRADIKALEN BLASORCHESTER zusammengearbeitet. Mit CHRISTOPH ANDERS habe ich bis Mitte der 90er Jahre immer wieder auch in den ENSEMBLE MODERN-Projekten zu tun gehabt. Mit DAVID MOSS, den kenne ich seit Moers 82, 83 - ich bin da eigentlich sehr, sehr konservativ und auch sehr treu. Und das widerspricht, glaube ich, diesem Zapper-Gedanken.


HEINER GOEBBELS/ALFRED HARTH Sonett 1:27

(M: Heiner Goebbels, Alfred Harth, T: Bertolt Brecht)

Eva (Japan) wwwcx2042

CD: Goebbels Heart


HEINER GOEBBELS

Ich glaube auch, dass bei dem Zappen oder bei der Diskussion sozusagen meines Montageverfahrens immer ausser acht gelassen wird, was die Einzelteile, die einem vielleicht heterogen vorkommen mögen oder die sich vielleicht gerade durch Heterogenität auszeichnen, was die letztlich zusammenhält - was ich als Komponist die viel spannendere Frage finde.


ERIC SLEICHIM (Blindman Saxohone Quartet)

Heiner ist ein Perfektionist. Er weiss genau: welche Note, für welches Instrument, zu welchem Moment und warum?. Es ist sehr wichtig, dass man dies gemeinsam mit dem Komponisten erfühlen kann.
Das ist nicht wie bei anderen Komponisten, die aleatorisch arbeiten. Nun gut, das Paradebeispiel für Aleatorik ist JOHN CAGE, der liefert einem einen Schlüssel dafür.
Heiner Goebbels verfolgt eine sehr dezidierte Architektur. Und ich glaube, das Publikum kriegt das mit. Ein Mittel für den leichten Zugang zu seiner Musik ist: sie ist sehr melodisch - selbst in atonalen Passagen - und: sie ist sehr rhythmisch.
Und gerade moderne Zuhörer brauchen einen solchen Anker, um gleichsam physiologisch hören zu können.
In vieler zeitgenössischer Musik - nehmen wir hier als Hauptexempel aus dem letzten Jahrhundert, WEBERN...da haben Sie gleichsam die Anti-These zur Wiederholung. Das kann ich selbstverständlich akzeptieren. Aber es fällt den Menschen doch schwer, mit Material umzugehen, das weder tonal noch rhythmisch Wiederholungen enthält, das also keinen Halt bietet.
Heiner geht sehr geschickt damit um. Er hat seine beiden Fundamente, Tonalität und Rhythmus - und von da aus kann er machen, was er will!


HEINER GOEBBELS

Also, man liest ja gerne, wenn man so ein Stück komponiert hat wie MANN IM FAHRSTUHL dann, dann steht natürlich in den Kritiken, ja Elemente von Rap und Samba und Rock und FreeJazz und so - das ist zwar alles nicht falsch, aber interesssant ist doch: wieso wird daraus ein Stück?


HEINER GOEBBELS aus: Der Mann im Fahrstuhl 9:23

(M: Heiner Goebbels; T: Heiner Müller)

ECM 1369; LC-Nr 2516

CD: Der Mann im Fahrstuhl


HEINER GOEBBELS

deswegen ist das mit dem Zapper ein bisschen kurz gegriffen. Interessant wäre: was hält die Scharniere in den Teilen meiner eigenen Arbeiten, was hält die eigentlich zusammen?

Und ich würde mal vermuten, es sind dann letztlich doch eher relativ konventionelle Kriterien von modaler Harmonik oder von rhythmischer Kontinuitität, von einem Puls. Oder es sind Kriterien von einer melodischen Fortschreitung usw, die auf ein anderes Medium, nämlich das Medium der Montage, angewendet werden. Aber trotzdem natürlich eine grosse musikalische Logik brauchen, damit sie funktionieren.


JUNGE DEUTSCHE PHILHARMONIE

Chaconne/Kantorloops 6:15

(M: Heiner Goebbels)

ECM New Series 1688; LC-Nr 2516

CD: Surrogate Cities

KLANGINSEL Buch-Hinweis:

Wolfgang Sandner (Hrsg.)

Heiner Goebbels - Komposition als Inszenierung

240 Seiten, Euro 29.90

Henschel Verlag, Berlin

ISBN 3-89487-431-7

 


WILLEM KNIKNIE (Rotterdam)

Willem Kniknie. Ich gestalte hier das Programm für Neue Musik bei Lantaren Venster in Rotterdam, einem nicht ganz unwichtigen Ort dafür in Holland - der zweitwichtigste nach Icebreaker in Amsterdam.

Wir organisieren zwei Festivals pro Jahr, eines gilt jeweils einem niedeländischen Komponisten. Das andere heisst "Konfrontationen" und kümmert sich um neue Entwicklungen in der Neuen Musik.

Ich bin hier seit Mai 2001 und dachte: wenn ich das Geld zusammenkriege, dann stelle ich einen Komponisten wie Heiner Goebbels vor.

Sehr intensiv und extensiv habe ich "Surrogate Cities" gehört - ich weiss gar nicht, warum? vielleicht weil ich das Stück mag - dann habe ich mich um die früheren Stücke bemüht und dachte mir: wenn er zusagt, dann machen wir´s. In fünf Minuten waren wir klar. Er meinte: wenn es finanziell tragbar ist, sollten wir das Festival machen.

Jetzt denke ich über das Festival im kommenden Jahr nach und habe Probleme, einen Komponisten zu finden, der das realisiert, was hier in den letzten beiden Tagen realisiert worden ist. Ich habe zwar einige Namen im Kopf, aber, nun denn...bei allen diesen fallen mir Kleinigkeiten auf, die mir missfallen. Kopfzerbrechen also im Hinblick auf das nächste Festival - aber bei diesem überhaupt nicht.


HEINER GOEBBELS, ERNST STÖTZNER, DAVID MOSS

Die Befreiung des Prometheus 6:34

(M: Heiner Goebbels, T: Heiner Müller)

Live-Version, WDR-Aufnahme 1994

V: Ricordi (Goebbels), Verlag der Autoren (Müller)


DAVID MOSS

Ja, ich bin DAVID MOSS und ich bin eine Freund von HEINER seit 82, und wir haben zusammengespielt als improvisers Anfang der 80er Jahre, haben Duo-tournees gemacht in Deutschland und Österreich und Heiner hat 3 verschiedene Stücke in meiner "My favourite Things"-Band gespielt.

Wir haben in Japan gespielt, wir haben Prometheus in Japan gespielt, in Tokio, ERNST STÖTZNER, ein deutscher Schauspieler, auf Deutsch, die Japaner haben keine Ahnung, was er auf der Bühne gesagt - aber die waren verruckt nach diese Konzert!

Wir haben in Bogota gespielt, auch mit Ernst, und die Leute waren auch verrückt. Wir haben in kleinen Städten in Italien gespielt - sie lieben die Musik eigentlich!


HEINER GOEBBELS, ERNST STÖTZNER, DAVID MOSS

Die Befreiung des Prometheus inkl. At last I am free 2:24

(M: Heiner Goebbels, Nile Rogers T: Heiner Müller)

Live-Version, WDR-Aufnahme 1994

V: Ricordi (Goebbels), Verlag der Autoren (Müller)


WILLEM KNIKNIE (Rotterdam)

Ich bin lange nicht mehr so emotional wie heute. Ich bin jetzt ziemlich müde. Aber als das letzte Lied einsetzte - "At last I am free", einer meiner Lieblingssongs - da hat es mich doch sehr berührt. Ich weiss gar nicht warum...natürlich weiss ich es. Aber, es ist doch sehr selten, dass man so etwas in der Neuen Musik erlebt.

Ich bin nämlich auch Anhänger sehr komplizitierer Musik, FERNEYHOUGH, XENAKIS, Neue Komplexität - die mag ich wirklich sehr.

Heiner Goebbels macht einerseit keine Konzessionen, aber er hat gleichzeitig emotionale Qualitäten.

Na klar, ich weiss, dass "At last I am free" von ROBERTY WYATT und von CHIC stammt - immerhin doch eine sehr gute Wahl!

In einem Interview für das Festival-Magazin sagt Goebbels: "Es gibt so viele Leute, die exzellente Streichquartette komponieren - warum soll ich mir das antun? Ich mache das, was ich gut kann, was ich in gewisser Weise erfunden habe, all diese Multi-Media-Dinge, und da kann ich vielleicht etwas verbessern. Warum soll ich ein Streichquartett schreiben."

Eine interessante Anmerkung.


ERIC SLEICHIM (Brüssel)

Erik Sleichim. Ich leite das BLINDMAN SAXOPHON QUARTETT aus Brüssel. Heiner Goebbels habe ich vor ein paar Jahren in Tokio kennengelernt.

Ich bat ihn um eine Komposition für unser Quartett, aber er hatte keine Zeit und schlug stattdessen ein Arrangement vor, und zwar 4 Sätze aus drei seiner sinfonischen Kompositionen.

Es handelt sich um"Walden","Schwarz auf Weiss" und"Surrogate Cities".

Ich muss sagen, das war schon eine Herausforderung, die sinfonischen Texturen, die Heiner häufig verwendet, auf ein Quartett zu übertragen.

Selbstverständlich habe ich dabei Samples eingesetzt und viel Elektronikk wie Harmonizer und Delay, sodass man die Texturen verdreifachen oder vervierfachen kann, die man normalerweise mit 4 Saxophonen erzielt - die ohnehin vom Klang her schon reichhaltig sind.


BLINDMAN SAXOPHONE QUARTET Stadt-Land-Fluss, Teil 2 8:24

(M: Heiner Goebbels, B: Eric Sleichim)

Live-Mitschnitt, Rotterdam 2002; unreleased

V: Ricordi

www.blindman.be


ERIC SLEICHIM (Brüssel)

Ein weiterer Aspekt ist das Theatralische. Wir sind eine sehr visuell geprägt Generation. Am Anfang des 20. Jahrhundert stand das Kino, und seither erreicht das Publikum eine immer mehr visuelle Information.

Musiker sollten aus ihrem zeitgenössischen Elfenbeinturm herauskommen: man soll den Noten zuhören, respektvoll sein etc etc -Nein, es gibt auch eine Art, Musik zu betrachten!

Und darin ist Heiner Goebbels ein Meister. Er zeigt einem, wie man Musik anschauen kann.


LES PERCUSSION DE STRASBOURG

...meme soir.- (...am selben Abend.-) 12:37

(M: Heiner Goebbels)

Live-Mitschnitt BR 2000


OLAF TZSCHOPPE (Freiburg)

Mein Name ist Olaf Tzschoppe und ich bin Mitglied von LES PERCUSSIONS DE STRASBOURG und heute abend haben wir LE MEME SOIR von HEINER GOEBBELS gespielt, ein Stück für 6 Schlagzeuger, was ja eigentlich im Auftrage und für LES PERCUSSIONS DES STRASBOURG gemacht hat.

Ich sage extra nicht "komponiert", weil der Entstehungsprozess ist sehr viel aus der Improvisation heraus entstanden. D.h. er ist mal gekommen- wir haben uns getroffen 2 Tage lang. Er kam zu uns in den Proberaum, hatte eigentlich nicht so richtig eine Idee und hat einfach geguckt, was wir da haben.

Und dann hat er gesagt: "Nehmt doch mal dies, nehmt doch mal das!", und dann gab es einfach so Spielsituationen, wor wir mit verschiedenen Sachen ausprobiert haben, und er hat alles aufgenommen und hatte auch sein keyboard dabei, hat manchmal noch einen Klang druntergelegt und hatte auch eine Lampe dabei, und hat gleich was ausgeleuchtet und hat gesagt: "Ah, jetzt macht das noch mal, jetzt stellt Euch mal so auf!" und das Licht ausgerichtet. Und dann ist er mit all diesen Materialien nach Hause gefahren und hat das so auf sich wirken lassen und ein bisschen gearbeitet.

Und dann haben wir uns - ich glaube, das war 1 Jahr später, wieder getroffen, und dann hatte er ein paar Ideen noch schriftlich fixiert, aber sagen wir: eher so musikalische Skizzen, gar nicht genau instrumentiert, und dann haben wir verschiedene Szenen erarbeitet.

Dann ist im Laufe der Zeit - wir hatten eine längere Arbeitsperiode - so eine Abfolge von Szenen entstanden. Und dann gab es die Überleitungen, was von wo nach wo führt oder was besser nach einer anderen Szene kam. Und die musikalischen Skizzen, die er da mitgebracht hatte, die wurden dann instrumentiert: "Ah, spiel doch mal hier das! Und spiel Du das - ach ne, vielleicht ist das nicht gut, mach doch mal dies!". Und so ist das einfach gewachsen. Es ist schon sehr szenisch, mit einem eigenen Bühnenbild. Und es- ja es hat schon einen speziellen Status in unserem Repertoire, weil wir normalerweise eigentlich nach Noten spielen, irgendwelche Kompositionen von x, y. Und in diesem Falle spielen wir ein Stück von HEINER GOEBBELS, wo es aber in dem Sinne keine Noten gibt.

Also, insofern ist das schon sehr speziell. Und auch der ganze Aufwand, d.h. die Bühne, es gibt ein Bühnenbild, es gibt auf jeden Fall einen Tontechniker, es gibt auf jeden Fall einen Beleuchter auch dabei - das hat schon eine Ausnahmestellung in unserem Repertoire.

MR: Mein Eindruck: es ist ein Stück Musik, das völlig voraussetzungslos eigentlich von jedem, aber wirklich von jedem verstanden werden kann.

Ja. Absolut.

Schlagzeug ist sehr konnotiert. Und seine Idee oder seine Heran Er setzt die Instrumente in Szene und benutzt sie auf eine Art, wie sie sonst vielleicht nicht benutzt werden.

Also eine der Schlüsselszenen - um das zu verdeutlichen - ist eine grosse Holzplatte, auf der Becken gedreht werden, und dann mit Stöcken geschoben werden. Man kennt diese Bilder aus dem Eisbowling, das ganze ist dann natürlich über Mikrofon abgenommen und ein bisschen verstärkt. Also man hat schon diese Klänge, die man normalerweise auch nicht hört, wenn jetzt ein Becken über Holz rutscht-

Und in dem Kontext von dem Stück ist also nicht ein Musikstil im Vordergrund, sondern mehr bestimmte Spielsituationen oder bestimmte Klänge, Klangflächen, Geräusche, Farben, und es gibt sehr viel Assoziationsspielraum dem Zuhörer, Zuschauer.


PETER RUNDEL

Ich bin Peter Rundel, Dirigent, und habe jetzt gerade hier das Konzert in Rotterdam hinter mir, mit Stücken von HEINER GOEBBELS; also zumindest in Europa, hat er eine grosse Präsenz.

Dass das jetzt hier Rotterdam zu seinem Fünfzigsten dieses Jahr sozusagen die erste Station ist, glaube ich, ist eher zufällig, bzw hängt damit zusammen, dass hier der Leiter seine Musik sehr gut kennt und schätzt.


WILLEM KNIKNIE (Rotterdam)

Ich weiss auch nicht warum, aber meine erfolgreichsten Konzerte waren diejenigen, bei denen ich am egoistischsten war. Wenn ich das tue, was mir am meisten gefällt, habe ich den besten Publikumszuspruch usw. usw. Goebbels hat wahrscheinlich einen ganz ähnlichen musikalischen Hintergrund wie ich.

Ich komme von Jazz und Pop, habe als Journalist für Jazz und Neue Musik gearbeitet. Es geht um die wilde Musik aus den 80ern, diese Impro-Rock-Bewegung: JOHN ZORN, FRED FRITH, TOM CORA, HEINER GOEBBELS, ALFRED HARTH, freejazz, freerock...wie soll man das bezeichnen? - jedenfalls war diese Musik für mich prägend. Und der Komponist, der heute aus dieser Szene herausragt, der von damals bis heute in einer Kontinuität arbeitet... bis zu den Berliner Philharmonikern - das ist Heiner Goebbels. Ich höre gleichermassen Pop, Jazz und Neue Musik, und er tut das auch. Er ist kein Postmoderner. Er ist - weil er alles hört - ein Musik-Sammler, der dann seine Entscheidungen trifft. Er geht von einem abstrakten Konzept aus und erzielt sehr konkrete Resultate - das finde ich interessant.


PETER RUNDEL

Also ich würde ihn auf jeden Fall im Zusammenhang mit anderen Grössen seiner Generation von Komponisten nennen wollen. Seine Musik ist absolut unverwechselbar, ganz originell und immer wieder, und das ist vor allem schön, wenn man das jetzt jahrelang gemacht hat- ich hatte jetzt eine kurze Pause, ein paar Jahre habe ich es nicht gemacht und höre jetzt die Sachen wieder wie z.B. heute abend HERAKLES - ich finde, dass es einfach unglaublich frisch immer noch ist diese Musik. Und das ist schon ein Zeichen für die enorme Qualität.

 


ENSEMBLE MODERN

Herakles 2 für 5 Blechbläser, Schlagzeug und Sampler 14:59

(M: Heiner Goebbels)

ECM New Series 1483; LC-Nr 2516

CD: Heiner Goebbels - Ensemble Modern


PETER RUNDEL

MR: Sie haben Goebbels dirigiert sehr viel, aber auch sehr viel ZAPPA. Was haben die beiden gemeinsam, was sind die Unterschiede? -

Ich glaube, dass ZAPPA noch viel stärker idiomatisch ist, d.h von der Rockmusik herkommt - bei aller Vielfalt, die auch Zappa hat. ZAPPA ist sehr viel amerikanischer,d.h. die ganzen Einflüsse der amerikanischen Unterhaltungsmusik, jetzt im weitesten Sinne, fliessen in seine Musik ein.

Bei GOEBBELS gibt es natürlich verschiedene Quellen, aus denen seine Musik genährt wird, ich würde sagen: auf der einen Seite gibt es Elemente aus dem FreeJazz, das ist eine Sache, die es bei ZAPPA so gut wie überhaupt nicht gibt oder wenn, dann nur als Karikatur. Dann natürlich auch ganz starker Popmusik-Einfluss bei GOEBBELS und aber auch dieser klassische Hintergrund; also man denkt da zurück an seine Beschäftigung mit EISLER oder auch mit klassischen Partituren, bei seiner Orchester-Musik merkt man das sehr deutlich. Und natürlich nicht zu vergessen, was man heutzutage als NOISE ART bezeichnet, also vielleicht auch Einflüsse von speziellen New Yorker Performern und Musikern.

Und natürlich die ganzen Theatereinflüsse, die er gehabt hat; ich glaube, das ist auch sehr wichtig.

Was sie gemeinsam haben, ZAPPA & GOEBBELS, um darauf zurückzukommen, das sie ein sehr hohes Bewusstsein haben sozusagen für das Soziale oder Soziologische an der Musik. Ich würde sagen, das ist der gemeinsame Nenner.


ALI N ASKIN

Zappa war im Hinblick auf das Schreiben für klassische Musiker sehr konservativ. D.h. der Stand orchestrationsmässig und auch von den Texturen her hat kaum den Varese-Level eigentlich verlassen. Es gibt von ihm keine Stücke, wo eben ein Sampler benutzt wird, oder auch die Überlegung, das Synclavier mit dem Orchester zu kombinieren - sowas gibt ´s eigentlich bei ihm nicht. Ja, kann man so sagen: bei Goebbels sind da viel modernere Ansätze vorhanden. Und mehr als Ansätze natürlich.


MODERATION

Ali N Askin, Arrangeur sowohl für Frank Zappa als auch für Heiner Goebbels.


ALI N ASKIN

Das war auch interessant, es gab ja dieses ENSEMBLE MODERN ORCHESTRA-Programm mit LACHENMANN und GOEBBELS. Und da konnte man ganz klar sehen, wie sich das Publikum spaltet: ein junges Publikum, was viel mehr mit modernen, sogenannten modernen Klängen, also im Sinne von, was-weiss-ich drum´n´bass und Ambient und Techno-Musik-Hörerfahrung...wie so ein junges Publikum oder ein offenes Publikum in der Hinsicht auf Goebbels reagiert und auf Lachenmann. Und wiederum wie ein sogenanntes herkömmliches Neue-Musik-Publikum auf Goebbels reagiert - das Publikum war völlig gespalten.


PETER RUNDEL

MR: Könnte es sein, dass HEINER GOEBBELS auch sehr viel weniger Geltung hat in den Kreisen der hardcore Neuen Musik als LACHENMANN, weil er einfach auch eine andere Herkunft hat? -

Ja, ich glaube, das mag z.T. sein, aber das ist eher auf die Betriebsblindheit von bestimmten Kreisen dann zurückzuführen. Ich denke schon, dass er - und ich spreche ja auch mit vielen Komponisten und Musikern - ich glaube schon, dass er - nachdem man ein bisschen argwöhnisch auf seine Kompositionsanfänge geschielt hat - sich mittlerweile sehr etabliert hat, bzw. auch gerade, was seine musiktheatralischen Arbeiten sind, dass er da wirklich sehr angesehen ist.

MR: Ich glaube, dass seine Art von Musiktheater, ich glaube schon, dass das etwas ganz Neues oder Weiterführendes ist. Also diese Idee von KAGEL, wie nennt er das?

"Instrumentales Theater", sehe ich da auf eine neue Ebene gehoben bei HEINER GOEBBELS.

Das Theatralische, was das Musikmachen oder ein Instrument Spielen oder eine musikalische Tätigkeit ausmacht, damit spielt er ja und arbeitet er und das auf eine phantasievolle und tolle Art.

 


HEINER GOEBBELS Wolokolamsker Chaussee IV Kentauren 12:58

(T: Heiner Müller, M: Heiner Goebbels, René Lussier,

Dmitri Shostakovich (Sinfonie Nr 7, Leningrader Sinfonie))

Alexander Kluge, Ernst Stötzner, rec

ECM 1452-54; LC-Nr2516

CD: Hörstücke


HEINER GOEBBELS

MR: Warum immer wieder und so lange HEINER MÜLLER? -

Warum ich immer wieder auf ihn zurückkam, hat - glaube ich - mit einer ganz für mich aufregenden Mischung zu tun, die seine Texte bereithalten. Einerseits sind sie sehr stark und jedes Wort steht für sich. Und deswegen halten sie die Musik auch aus, und deswegen kann man sie auch so freistellen. Und man muss sie gar nicht schützen, sie verweisen selbst immer wieder auf sich und sind wichtig genug und gut genug gewählt.

Zum anderen gibt es natürlich eine ganz grosse inhaltliche Kongruenz, auch mit dem, was mich politisch interessiert hat.

Und zum dritten aber - und das ist das eigentlich Verführerische und vielleicht der Grund, warum ich immer wieder auf sie gekommen bin - sind es Texte, die eine grosse Offenheit letztlich möglich machen. Sind nicht Texte, die den Blick verengen auf die Welt, sondern es sind Text, wenn man sie entsprechend nicht kleinmacht, nicht psychologisiert und nicht irgendwelchen Figuren zuordnet, sondern wenn man sie wirklich als Literatur nimmt, als eine fantastische Literatur nimmt, sind sie Texte, die beim Wiederlesen immer wieder neue Facetten aufmachen.

Und von ihrer Struktur her eben keine autoritären Texte, sondern Texte, die an denen man sich abarbeiten und an denen man Erfahrungen machen kann.

Es gibt viele, auch linke Autoren wie z.B. PETER WEISS, wo ich sagen würde: das ist einfach eine autoritäre Sprache, der musst du gehorchen. Das ist bei MÜLLER nicht so.

MR: Sie haben in dem Buch KOMPOSITION ALS INSZENIERUNG sehr ausführlich sich zu Arbeit mit Texten geäussert. Da fällt auch das Stichwort"den Text als Landschaft nehmen oder als Landschaft betrachten". Wie würde sich das vertragen mit einem Diktum von ENZENSBERGER, das ich sehr einleuchtend finde, wonach ein Leser einen Text auch gegen die Intentionen des Autors rezipieren kann?-

Absolut, natürlich. Ein Text ist auch immer schlauer als der Autor. Der Autor weiss nicht immer, was er tut. Das ist bei dem einen Autor mehr ausgeprägt als bei dem anderen. Aber das gehört unbedingt dazu.

Gerade bei Autoren, die diese Offenheit halten, die Möglichkeit, einen Text wie sozusagaen eine Landschaft zu sehen oder zu lesen, intendieren - da wird man vieles finden, dessen sich auch die Autoren nicht klar waren.


HEINER GOEBBELS

Ein Bild, das wir Zeit nennen, deutsch 4:08

(M: Heiner Goebbels, T: Plato)

Produktion: SWR 2002/IRCAM und Centre Pompidou 2002

V: Ricordi


HEINER GOEBBELS

MR: IMAIOS aus gegebenem Anlass, 2000 zur Wiedereröffnung des Centre Pompidou, jetzt zu hören bis Mitte September bei dieser Klangkunst-Aktion in Brügge. Es sind ja, wenn ich es richtig verstehe, alle Klänge destilliert und transformiert aus Vokalklängen, also aus Sprache.

Das Verfahren war mir relativ schnell klar, weil ich in einer Zeit war, in der ich sozusagen nichts erfinden wollte. Und ich brauchte ein sehr strenges Kriterium für meine Arbeit. Das ist übrigens etwas, was ich immer wieder suche - immer wieder auf eine andere Weise, mir aus einem Thema, aus einem Kontext, aus einer Sprache zu holen.

In dem Masse, in dem unsere Möglichkeiten so uferlos sind, in dem Masse brauche ich immer strengere Kriterien der Auswahl. Und das war für mich das Kriterium: keine Musik zu machen, sondern Musik nur aus der Sprache zu holen, aus der Sprachmelodie, aus dem Sprachrhythmus, aus dem Sprachklang, aus den Konsonanten, aus den Vokalen, mit sehr viel verschiedenen Programmen. Es gibt Programme, die sozusagen analysieren Sprache und synthetisieren sie wieder in musikalischen Kategorien neu. Also nicht alles ist direkt erkennbar als solches. Aber ich glaube, diese Kohärenz ist spürbar.

Ich wollte ein bisschen schummeln. Ich dachte, na gut, jetzt hast du dir schon diesen Ambient-Klang errechnet, das dauerte manchmal Tage, den benutzt Du jetzt auch für den englischen Teil - auch wenn du dir ihn aus dem deutschen Teil errechnet hast.

Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun. Das merkt jeder Laie sofort. Also man kann da nicht schummeln.


HEINER GOEBBELS

Ein Bild, das wir Zeit nennen, englisch 5:58

(M: Heiner Goebbels, T: Plato)

Produktion: SWR 2002/IRCAM und Centre Pompidou 2002

V: Ricordi


O-TON Studenten vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Giessen:

BODO JENTZSCH, STEFFEN POPP, LENA FRANZISKA WICKE


JUNGE DEUTSCHE PHILHARMONIE

In the Country of Last Things 5:14

(M: Heiner Goebbels, T: Paul Auster)

David Moss, voc

ECM New Series 1688; LC-Nr 2516

CD: Surrogate Citiies


 © Michael Rüsenberg, 2002
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