Die Zeit der bösen Witze ist vorbei

Wissenschaftler retten den Ruf des Jazzdrummers
WDR 3, 14.12.2013; NDR Info 18.10.2013

JOHN HOLLENBECK/FRANKFURT RADIO BIG BAND Canvas 5:26

MODERATION
Guten Abend. Mein Name ist Michael Rüsenberg.
Es könnte durchaus sein, dass mein heutiges Thema manchen Hörern - darunter vermutlich eher jüngere - als völlig unproblematisch erscheint.
Denn der Jazz-Schlagzeuger - und um den geht es - steht bei ihnen sowieso ganz obenan.
Das war aber nicht immer so. Der Jazz-Schlagzeuger hatte lange ein schlechtes Image.
Und warum das falsch ist, und wahrscheinlich immer schon falsch war, davon handelt WDR 3 Jazz heute:
„Die Zeit der bösen Witze ist vorbei - Wissenschaftler retten den Ruf des Jazz-Drummers.“

MODERATION
Mit die komplexeste Musik, die der Jazz heute zu bieten hat, wird komponiert und arrangiert von einem Schlagzeuger, von John Hollenbeck.
Also, vom Vertreter einer Gattung, die lange Zeit verlacht war - unter Musikern mehr als unter Zuhörern.

JONAS BURGWINKEL

Ich hab´ die alle verdrängt und vergessen - nein, ich kenne keinen einzigen Schlagzeuger-Witz.

FRANK SAMBA

Jemand möchte gerne Gehirne kaufen, geht in ein Geschäft, und da sieht er ein Mathematiker-Hirn für 50 Euro, ein Nobelpreisträger/Physiker-Hirn für 100 Euro - und ein Schlagzeuger-Hirn für 500 Euro.
Er fragt den Verkäufer: „Warum ist das am teuersten?“
Da sagt der Verkäufer: „Das Schlagzeuger-Hirn ist noch wie neu - unbenutzt!“

BILL BRUFORD/MICHIEL BORSTLAP Flirt 3:09

MODERATION
Bill Bruford - hier mit dem niederländischen Pianisten Michiel Borstlap -, noch so einer, der mit Lust das überkommene Image der Schlagzeuger in der Luft zerfetzt.
2009 hat Bruford - anlässlich seines 60. Geburtstages und zum Abschluss seiner Bühnenkarriere - eine Autobiografie geschrieben, die weit mehr ist als als ein Erlebnisbericht.

BILL BRUFORD

Ja, der Schlagzeuger kann sogar schreiben! Ermüdet von den Witzen über ihn schlägt der Schlagzeuger zurück!

MODERATION
Woher rührt der schlechte Ruf des Schlagzeugers? Warum all die Witze?



BILL BRUFORD

Bruford



Die Geschichte zeigt: ja, es wurde auf ihn herabgeschaut, er wurde teilweise als Zirkusnummer verstanden.
Und wenn man sieht, wie Carl Palmer eine Glocke mit seinen Zähnen bedient und sein Hemd auszieht, dann verweist Palmer sehr weit zurück zu Vaudeville und British Music Hall und zu den frühen Tagen des amerikanischen Jazz, als der Schlagzeuger für visuelles Entertainment stand.

BILL BRUFORD/MICHIEL BORSTLAP All Blues 4:23

FRANK SAMBA

Einer der ältesten Witze, die ich immer zu hören bekommen habe, war:
„Der Schlagzeuger ist des Musikers bester Freund.“
Und wir dürfen uns mittlerweile doch etwas zugehöriger zu den Musikern fühlen.

LUCAS NIGGLI
Ich glaube, heutzutage in einer emanzipierten Band oder sagen wir mit einem emanzipierten Schlagzeuger, der ist bei den Proben, im Studio, genau so prägend und mitredend wie der Pianist oder Saxophonist.

MOODERATION
An dieser Stelle verabschieden wir Bill Bruford aus dieser Sendung, jedenfalls unter den Gesprächsteilnehmern. Er trommelt aber noch weiter: den „All Blues“ von Miles Davis, wiederum mit Michiel Borstlap.
Frank Samba und Lucas Niggli werden wir gleich wieder begegnen.

MODERATION
„Jazz Drummers recruit Language-specific areas for Processing of rhythmic Structure“ - auf Deutsch:
Jazz-Schlagzeuger verwenden Sprach-spezifische Arreale zum Erkennen rhythmischer Strukturen.
Das ist der Anlass zu dieser Sendung.
Und das ist zugleich der Titel wie auch das Hauptergebnis einer neurowissenschaftlichen Studie von 6 Autoren aus mehreren europäischen Ländern, veröffentlicht in einer Fachzeitschrift Ende vergangenen Jahres.
Sie vergleichen darin Jazz-Schlagzeuger mit Laien, und es geht ihnen nicht darum, den ramponierten Ruf der Musiker wieder herzustellen als vielmehr um Konsequenzen für den medizinischen Alltag.
Ich habe mir die Freiheit genommen, den Fokus weiter aufzuziehen und diese Arbeit drei Schlagzeugern vorzulegen.
Aber zunächst einmal zur Studie selbst.

SOUND 1
MODERATION
Das erkennt ein jeder - das ist ein ganz normaler 2/4-Takt.

SOUND 2
MODERATION
Ups...was ist hier passiert?
Hier kommt die Bassdrum eine Achtel-Note zu früh.
In der alt-europäischen Terminologie nennt man das „eine Synkope“

SOUND 3
MODERATION
Oh je, schon wieder eine Synkope, eine Abweichung vom Ursprungsmuster: hier kommt die snare drum eine Sechzehntel zu früh.

SOUND 4
MODERATION
Und hier ist etwas ganz Abartiges passiert: die bassdrum fällt, ohne System, irgendwo dazwischen. Das geht gar nicht. Das ist ein Fehler.
Sehr gut eingemessene Ohren wissen allerdings: es gibt neuere Jazz-
Stile, da ist das keineswegs ein Fehler, sondern Gestaltungsmittel.
Aber, das führt uns hier nicht weiter.

MODERATION
Aber, jetzt kommt die Besonderheit: Sie hören nicht Radio. Sie liegen in einem Kernspin, in einem „funktionalen Magnet Resonanz Tomographen“. Da drin ist es sehr eng. Und sehr laut.

SCANNER-SOUND CONVENTIONAL

MODERATION
Prof. Klaus Scheffler in Tübingen ist es gelungen, den unvermeidlichen Klangabfall des Kernspin so zu verändern, dass er nicht mehr rhythmisch daherkommt, sondern als gleichmässiges Geräusch, das nicht mehr ganz so sehr stört....

SCANNER-SOUND LINA

MODERATION
Das also waren die Hör-Bedingungen, das war das Hör-Material für 12 Jazzschlagzeuger und 10 musikalische Laien aus Basel.
Halt! Ich habe noch etwas vergessen, etwas für diese Studie ganz Entscheidendes: es ging den Forschern nicht um die bewusste Verarbeitung der rhythmischen Stimuli; da wären die Jazz-Schlagzeuger ganz klar im Vorteil gewesen.
Es ging ihnen um die unbewusste Verarbeitung der verschiedenen Rhythmen. Und damit die Teilnehmer sich eben nicht auf das Hören konzentrieren, wurden sie visuell abgelenkt: ihnen wurde ein Stummfilm vor Augen geführt. Das geht im Kernspin über ein System von Spiegeln.

BILL BRUFORD The Drum also Waltzes 2:53

MARCUS HERDENER
herdener


Wir haben in dieser Studie erstmal versucht, überhaupt generell zu untersuchen, wie rhythmische Regeln oder rhythmische Strukturen im Gehirn repräsentiert oder abgebildet wird, unabhängig von dieser Expertise der Teilnehmer, von der Jazz-Expertise. Das war unser erstes Ziel dieser Studie.
Das zweite Ziel war, wirklich zu schauen, wo werden rhythmische Reize, also rhythmischen Profis wie von Jazzschlagzeugern wahrgenommen werden, wo bestehen da eventuell Unterschiede in der Verarbeitung zwischen diesen Experten und musikalischen Laien? Das waren so die beiden Hauptziele der Studie.

MODERATION
Das ist Marcus Herdener, zum Zeitpunkt der Untersuchung noch am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen, inzwischen wieder Arzt an der Universitäts-Psychiatrie in Zürich.
Das Hauptergebnis dieser Untersuchung, für die neben Herdener weitere fünf Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Italien verantwortlich waren:
Jazzschlagzeuger ziehen bei der Verarbeitung rhythmischer Stimuli ganz andere Hirn-Regionen heran als Laien.

MARCUS HERDENER
Das ist eines der wichtigen Hauptergebnisse unserer Studie, dass Regionen, die sonst eher mit der Sprachverarbeitung assoziiert sind, wo die Grammatik der Sprache, wie wir sie aus Sätzen kennen, die grammatikalisch richtig oder falsch sein können, wo sonst solche Fehler z.B. verarbeitet werden bei normalen Personen - dort zeigen Jazzer eine verstärkte Aktivierung bei rhythmischen Abweichungen, die in diesem Kontext auch als Veränderung der grammatikalischen Grundstruktur verstanden werden können.

MODERATION
Wie muss man sich das vorstellen? Haben die Jazzschlagzeuger die Abweichungen der rhythmischen Mustern demnach in den gleichen Hirnregionen verarbeitet, als hätte man ihnen ein Wort - sagen wir - mit falschem Genetiv vorgesprochen?

MARCUS HERDENER
Genau so kann man es sagen. Man kann vielleicht auch noch ein anderes Beispiel geben für so einen grammatikalischen Fehler. Es gibt andere Studien, die z.B. Sätze untersucht haben, und der richtige Satz würde lauten ´Peter hat den Apfel gegessen.´ Man kann aber auch sagen ´Peter hat den Apfel essen.´ Das ist ein grammatikalischer Fehler. Und wenn man diesen Satz hört, diesen falschen Satz, dann ist genau die gleiche Region aktiv wie bei unseren Jazzern, wenn sie eine rhythmische Abweichung - insbesondere einen rhythmischen Fehler - eine Verletzung dieser rhythmischen Syntax, hören.

MODERATION
„The Drum also waltzes“. Das war noch einmal Bill Bruford, mit seiner Interpretation einer Komposition von Max Roach.

„Jazz-Schlagzeuger verwenden Sprach-spezifische Arreale zum Erkennen rhythmischer Strukturen“.
Hier ist der erste von drei Schlagzeugern, denen ich diese Studie vorgelegt habe: Jonas Burgwinkel, erst 32 Jahre alt und schon Professor an seiner Ausbildungsstätte, der Musikhochschule Köln.
Burgwinkel ist derzeit der meist-beschäftigte Jazz-Schlagzeuger in Deutschland, nicht wenige halten ihn auch für einen der besten - über Deutschland hinaus.

JONAS BURGWINKEL
In der Form, wie es jetzt ausgeführt war, kannte ich es noch nicht. Das ist auf jeden Fall eine Theorie, die es bisher ja nur war; leuchtet einem total ein, als Musiker. Fühlt sich auch tatsächlich so an. Ich kenne das auch vom Unterrichten, dass ganz oft, wenn es um eine Übung geht, die der Student noch nicht meistern kann, und man ihn dann einzelne Passagen, einzelne Stimmen dieser Übung singen lässt, um sich dann auf eine andere Art der Sache noch mal zu nähern, dass dann der Knoten platzt und dann in die Motorik auch übergehen kann. Und das Gehirn das auch besser verarbeiten kann.

FREDERICK KÖSTER Die verlorene Zeit 3:01

MODERATION
Jonas Burgwinkel ist auf zahlreichen CDs zu hören. Mit die besten Beispiele seiner Schlagzeug-Kunst hinterlässt er auf dem neuen Album des Trompeters Frederik Köster, „Die Verwandlung“.
Und hier ist der zweite Schlagzeuger, der sich äussert zu der Studie „Jazz-Schlagzeuger verwenden Sprach-spezifische Arreale zum Erkennen rhythmischer Strukturen“, hier ist Lucas Niggli aus der Schweiz.



LUCAS NIGGLI
Da bin ich jetzt überhaupt nicht überrascht. Dass im Hirn die rhythmischen Strukturen dort aktiviert werden wie die Sprache auch, überrascht mich überhaupt nicht. Da muss man gar nicht weit suchen. Wenn man z.B. die indische Musik nimmt, wo im Konakol, in dieser indischen Rhythmussprache das ganze Erlernen von den hochkomplexen Rhythmen über das Erlernen von einer rhythmischen Sprache abläuft, ist das ja Beweis genug, dass das schon seit hunderten von Jahren so gepflegt wird. Und erkannt wurde.

LUCAS NIGGLI
(vokalisiert ein Schlagzeug-Pattern)
Das ist jetzt nicht indisch. Sondern wenn ich improvisiere, wenn ich ein Solo spiele, dann spreche oder singe ich sehr oft innerlich mit. Weil die Präzision meiner Phrasierung auf dem Instrument viel, viel grösser ist. Meine Hände kann ich viel subtiler steuern, indem ich mit der Zunge, mit der Sprache quasi diese Phrasierung mitmache. Kommt noch hinzu, dass der Atem mit einbezogen ist. Als Rhythmiker mit vier Extremitäten muss ich ja nicht unbedingt meinen Atem steuern oder koordinieren mit der Tätigkeit. Ich kann das loslösen. Ist aber weniger schön, wie soll ich sagen? weniger präzise, weniger rund. Aber in dem Moment, wo ich es über die Sprache mache, bin ich wie ein Bläser, oder wie ein Sänger. Mein Atem ist dann sofort ins Rhythmische hinein koordiniert. Und ich behaupte: das hört man dann auch! Das gibt einen wunderschönen flow, eine Präzision auch in der Artikulation und der Phrasierung.
(vokalisiert erneut)
Dann lebt das viel mehr. Und die Feinmotorik ist eben noch feiner austariert.

BIONDINI-GODARD-NIGGLI Black Eyes 3:56

MODERATION
Lucas Niggli, „Black Eyes“, ein Solo-Stück aus dem jüngsten Album des Trios mit Luciano Biondini und Michel Godard, „Maví“.
Niggli hat einen wichtigen Aspekt in dieser Sendung angesprochen: die indische Trommelsprache namens „Konakol“.
Was ist Konakol, wie unterscheidet es sich von heutigen Sprachmethoden, Schlagzeug zu unterrichten? Frank Samba:

FRANK SAMBA
Ich habe die Studie erst mal sehr gut nachvollziehen können, inhaltlich, und habe dann sehr große Parallelen zu den Beobachtungen in meiner Unterrichtstätigkeit feststellen können. Diese Beobachtungen sind natürlich nicht wissenschaftlich, sondern sehr subjektiv gefärbt. Ich unterrichte seit 20 Jahren an der Folkwang Musikschule in Essen mit einer Klassenstärke von ca. 30 Schülerinnen und Schülern, mit einer durchschnittlichen Verweildauer von ca. 5 Jahren. D.h. ich begleite die Jugendlichen oft durch die Pubertät und dann auch bis hin in die Zeit nach dem Abitur. Und habe dabei sehr viele Beobachtungen gemacht, die sich mit den Schlußfolgerungen aus der Studie auch decken.

THE THREE MAN BAND Ode to the Degeneration of the white Mind 3:13

MODERATION
Frank Samba arbeitet überwiegend als Schlagzeug-Lehrer. Es gibt auch Aufnahmen mit ihm als Schlagzeuger, z.B. 1991 mit Wolfgang Puschnig und Jamalaaden Tacuma.

FRANK SAMBA
Insbesondere in Bezug auf die Sprachaffinität: sehr viele meiner Schüler sind gute Abiturienten. Das, denke ich, hat weniger damit zu tun, dass sie Schlagzeug spielen oder das gelernt haben, sondern vielleicht auch eher mit einem familiären Hintergrund oder auch der kultur-affinen Umgebung. Das alles führt dazu, dass es sehr aufgeweckte junge Menschen sind. Aber mir ist aufgefallen, dass sie meistens sehr, sehr sprachbegabt sind. Und das hat mich auch zu einer Modifikation meiner Didaktik gebracht.

MODERATION
Gutes Abitur, Sprachbegabung, Schlagzeug-Spielen - sieht auch der Wissenschaftler hier einen Zusammenhang?
Markus Herdener, Universitätspsychiatrie, Zürich.

MARCUS HERDENER

Es ist schwierig wahrscheinlich, den Bogen zu schlagen von rhythmischen Fähigkeiten zur allgemeinen Intelligenz. Da würde ich eher zurückhaltend sein. Aber, es gibt sehr gute Untersuchungen, die eine sehr enge Verbindung aufzeigen zwischen rhythmischen Fertigkeiten, wie sie beispielsweise bei Schlagzeugern bestehen, und Fähigkeiten im Bereich des Lesens oder des Spracherwerbs. Diese Studien zeigen, dass schon rhythmische Fähigkeiten im Kindergartenalter sehr gut mit der späteren Fähigkeit beim Lesen korrelieren. Sogar ein Prädiktor (Vorhersagewert) dafür sind, wie gut Kinder später lesen können in der Schule. Das ist aus meiner Sicht ein sehr interessanter Zusammenhang. Und für mich als Arzt natürlich sehr wichtig, wenn man sich Gedanken macht über mögliche klinische Anwendungen dieser Ergebnisse.
Es gibt beispielsweise Studien, die zeigen, dass durch spezifisch rhythmisches Training die Schwierigkeiten, die Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwäche haben, verminderbar sind durch bestimmtes musikalisches oder rhythmisches Training. Da scheint es eine sehr direkte Verbindung zu geben.

YOUTUBE Ayeisha Mathis „say it - then play it“

MODERATION
Die Änderung der Schlagzeug-Didaktik, die Frank Samba ansprach, sie wird hier in einem Internet-Video von der amerikanischen Schlagzeugerin Ayeisha Mathis demonstriert: „say it - then play it“, zu Deutsch etwa: „Erst sprechen oder singen - und dann spielen!“
Hier ist der zweite aus dem zitierten Team von Neurowissenschaftlern:
Thierry Humbel von der Universitätspsychiatrie Bern.

THIERRY HUMBEL
Thierry Humbel
Ich denke, das passt sehr gut, was Sie angesprochen haben in Indien.
Wenn das mir richtig bekannt ist, werden diese rhythmischen patterns mündlich überliefert, da gibt es keine Notation. Diese Musiklehrerin im Internet ist mir nicht bekannt. Aber was wir in dieser Studie herausgefunden haben, ist ziemlich kongruent mit dem, was Sie da schildern.

ARI HOENIG Rhythm 1:42
ARI HOENIG Rhythm a ning 3:53

MODERATION
„Say it - then play it“: der amerikanische Schlagzeuger Ari Hoenig mit einer sehr eigenen künstlerischen Anwendung dieses Satzes aus der Jazz-Schlagzeug-Didaktik, wozu im zweiten Teil auch seine Version von Monk´s Klassiker „Rhythm-a-ning“ gehört.  
„Say it - then play it“, Jonas Burgwinkel:

JONAS BURGWINKEL

jonas burgwinkelMan singt oft Schlagzeugstimmen. Oft hat man als Schlagzeuger auf Tour nicht die Möglichkeit, im Hotelzimmer mal eben eine Stunde zu üben, wie das Trompeter oder Gitarristen gerne mal machen. Und da sage ich meinen Studenten immer - und ich mache das auch selber -, dass man üben kann, indem man einfach Sachen sich vorsingt und im Kopf übt. Das kann man ständig machen. Beim Spazierengehen nimmt man z.B. seine Schritte als Viertel und singt dann alle möglichen polyrhythmischen Figuren da drüber. Die man halt am Schlagzeug noch nicht kann, aber dann über die Stimme sich irgendwie „freischaltet“. Und wenn man sich dann ans Schlagzeug setzt, hat man die meiste Arbeit schon getan.

FRANK SAMBA
In dem Moment, wo ich einem Schüler ein Tempo schnippe und das vorsinge
(führt es lautmalerisch vor: boom-tak-do-boom-boom-tak)
und der Schüler dann das boom mit der bass drum assoziiert und das tak mit dem backbeat auf der snare drum, dann ist das eine sehr direkte Verinnerlichung dessen, was ich mitteilen will. Diese Methode des say it - then play it ist meiner Meinung nach keine Konkurrenz zur klassischen Notendidaktik. Aber es ist eine total sinnvolle Ergänzung, um eine direktere Art der Vermittlung von rhythmischen Figuren ´rüberzubringen.

DAVE WECK Tomatillo 5:32

JONAS BURGWINKEL

(Frage: D.h. Du siehst da einen Zusammenhang zwischen dem Spielen, also der Motorik des Schlagzeugers, und dem Sprechen?)
Absolut. Es gibt auch ganze Bücher, z.B. ein Standardwerk schon seit den 70er Jahren - Gary Chester hat das geschrieben -, da wird die Stimme quasi als fünftes Gliedmaß zugeteilt. Und so wird die Unabhängigkeitsübung, die es für Schlagzeuger oft gibt, dass man in jedem Gliedmaß was anderes spielen soll usw,, da noch um die Stimme erweitert. Was sehr erstaunliche Ergebnisse erzielt.

MODERATION
Wer passte hier besser als der, der mutmasslich das Buch von Gary Chester vorwärts und rückwärts gelesen hat? - Dave Weckl!

CINDY BLACKMAN Paradise Island 2:51

MODERATION
Die Zeit der bösen Witze ist vorbei - wer möchte sich hier noch einen üblen Scherz erlauben?
Hier trommelt Cindy Blackman - pardon: Cindy Blackman-Santana, seit sie vor drei Jahren Carlos Santana geheiratet hat. Cindy Blackman-Santana spielt bei unserem Thema eine wichtige Rolle, sogar auf dem Level der Musikschulen. Frank Samba, Folkwang Musikschule Essen.

FRANK SAMBA
Samba-CBSIch habe mittlerweile einen Anteil von ca. 40 Prozent Mädchen im Schlagzeugbereich. Die Berührungsängste, die vor allem die ältere Generation noch mit dem Instrument hatte, sind jetzt völlig in Luft aufgelöst. Das ist einerseits Schlagzeugerinnen wie Terri Lyne Carrington zu verdanken, aber auch der großen Popularität einer guten Freundin unseres Hauses, nämlich Cindy Blackman-Santana (Foto: Samba mit CBS), die eigentlich eine hervorragende Jazz-Schlagzeugerin ist, aber eine Zeitlang Popmusik bei Lenny Kravitz gespielt hat. Und dadurch das Instrument sehr, sehr popularisiert hat. Ein paar Jahre früher hat auch schon Sheila E. bei Prince eigentlich sehr zur Popularisierung des Instrumentes beigetragen. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die jungen Leute vollkommen unvoreingenommen auf das Instrument losgehen, und Bedenken eher auf Seiten der Elterngeneration bestanden.

MODERATION
„Jazz-Schlagzeuger verwenden Sprach-spezifische Arreale zum Erkennen rhythmischer Strukturen“.
Das letzte Wort in dieser Sendung hat Thierry Humbel aus Bern, aus dem Team europäischer Neurowissenschaftler, die - ohne es zu beabsichtigen - eine Lanze für den Jazz-Schlagzeuger gebrochen haben.

THIERRY HUMBEL

Das darf man durchaus so sagen. Ich denke, die restlichen Instrumentalisten, die haben immer mehrere Aspekte, und der Schlagzeuger kann sich ganz auf den Rhythmus konzentrieren. Und dann natürlich auch Fähigkeit entwickeln, kommunikative Fähigkeiten, die er dann in einer vielleicht größeren Intensität als vielleicht andere anwenden kann.

THE CLAUDIA QUINTET Interval Dig 5:18

 © Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten