Der virtuose Schweiger - Erinnerungen an den Saxophonisten Gerd Dudek

SWR2 Jazztime
, 11. Februar 2023

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Mit Gerd Dudek - verstorben am 3. November 2022 im Alter von 84 Jahren - hat der deutsche Jazz einen seiner größten, manche meinen sogar: den größten Saxophonisten verloren.
Vielen ist dieser Rang verborgen geblieben: es gibt nicht das zentrale Dudek-Album oder die zentrale Dudek-Band - obwohl er über sechs Jahrzehnte gewirkt hat.
Einer der Gründe: er blieb - wie ihn mehrere seiner Freunde in dieser Sendung beschreiben - „der perfekte sideman“.
„Der virtuose Schweiger - Erinnerungen an den Saxophonisten Gerd Dudek“, am Mikrofon ist Michael Rüsenberg.

01. HANS KOLLER ENSEMBLE Kenny´s Feeling 0:55
Ansage
: „Es ist ein ganz junger Musiker dabei, der noch nie vor einem Auditorium wie diesem gesesssen hat. Und es sind 6 von 7 Musikern - er selbst kann sich ja nicht trösten - dabei, ihn im Moment zur Ruhe zu bringen.
Und ich denke, dass Sie ihn besonders nett und liebenswürdig empfangen werden, wenn ich jetzt gleich die einzelnen hier hereinbitten werde.
Hier ist unser Benjamin, von dem ich eben sprach; er heisst Gerd Dudek und spielt Tenorsax“ (prasselnder Beifall)
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MODERATION
14. November 1958, NDR Studio 10 in Hamburg: „NDR Jazzworkshop“ mit Hans Koller & Ensemble, darin Gerd Dudek, gerade mal 20 Jahre alt.
Die Rhythmusgruppe: ein Traum für einen Frischling wie ihn:
Oscar Pettiford - kontrabass, Kenny Clarke - schlagzeug.
Der Trompeter Manfred Schoof hatte Dudek ein Jahr zuvor 1957, im Hamburger Club „Barrett“ kennengelernt.

O-TON MANFRED SCHOOF
Der spielte damals einen hervorragenden Stan Getz. Es war eigentlich genauso wie Stan Getz. Wenn man die Augen zugemacht und ihn nicht gesehen hat: sehr elegante, wunderbare Tonführung, inhaltlich brillant und überhaupt ein genialer Saxophonist. So etwas hatte ich noch nie gehört.

MODERATION
Gerhard Rochus Dudek, genannt Gerd, geboren am 28. September 1938 in Groß Döbbern bei Breslau, kommt mit seiner Familie Anfang der 50er Jahre nach Siegen.
Er hat fünf Geschwister. Sein 4 Jahre älterer Bruder, der Trompeter Oswald Dudek, bringt ihn zum Jazz. Er leitet eine 12-köpfige Combo, in der Gerd Altsaxophon spielt.
Dudek 1954

O-TON OSWALD DUDEK
In Siegen fing dann die Zeit an, wo wir Swingmusik machten. Louis Armstrong, Benny Goodman, Glenn Miller, das waren unsere Vorbilder.

Frage: Und Gerd war damals - wir sprechen immer noch über die Mitte der 50er Jahre - von Beruf her Bauzeichner.

Er hat Bauzeichner gelernt, und ich hatte auch einen anderen Beruf gelernt, ich habe Bauschlosser gelernt.

Wir haben dann ein Stipendium an der Musikschule in Hilchenbach erhalten.

 

Siegen ca 1954:
Gerd Dudek (2. v.l., untere Reihe)
Oswald Dudek (Mitte, mittere Reihe)

 

 

MODERATION
Die Ausbildung in Hilchenbach bei Siegen dauert 1 Jahr, sie ist klassisch.
Gerd Dudek spielt Klarinette, u.a. auch Mozarts Klarinettenkonzert, sowie - eher versteckt - Altsaxophon.

 O-TON OSWALD DUDEK
Und eines Tages hat eine Sängerin aus Siegen gesagt: „Da ist jemand, der sucht Musiker!“ Der Mann hieß Jean de Brouillon, kam aus Berlin, ich bin dann eingestiegen bei dem, und mein Bruder - der sollte auch einsteigen -, aber jemand anders hat ihn dann weggeschnappt. Da haben wir uns dann getrennt.

MODERATION
Oswald Dudek, im Dezember 2022 in Berlin. In den 50er und 60er Jahren spielt er in „Ami-Clubs“, bis hinunter nach Marokko. 1997 wird er pensioniert, nach 15 Jahren (als Trompeter) im Polizeiorchester Berlin.
Wann haben er und sein Bruder Gerd zuletzt zusammen gespielt?

Oswald Dudek   1

O-TON OSWALD DUDEK
Wir haben uns getrennt ´54, kurz danach haben wir uns getrennt. Wir waren auf der Musikschule in Hilchenbach, wurden dann abgeworben von dem Jean de Brouillon. Und der Gerd, der ist dann da in Deutschland ´rum, wo ich dann mit der Band in Ami-Clubs gespielt habe.

Wir haben uns zwar noch einmal getroffen, komischerweise durch einen Zufall in Pirmasens. Da habe ich den Gerd getroffen, der hat zufälligerweise in einem anderen Club in Pirmasens gespielt.

Frage: Haben Sie denn von seine FreeJazz-Aktivitäten was mitgekriegt? Also beispielsweise Globe Unity Orchestra?
Ab und zu mal - aber das war nicht meine Sache. FreeJazz war nicht meine Sache, meine Sache war Swingmusik. Und Gerd hat dann andere Kontakte geknüpft. Der ist dann im FreeJazz großgeworden.

 

 

02. HANS KOLLER ENSEMBLE Anusia, 5:08
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MODERATION
Noch einmal Hamburg, 14. November 1958: NDR Jazzworkshop mit Hans Koller und seinem Ensemble, eines der frühen Tondokumente in der Karriere von Gerd Dudek.
Er spielt das dritte Solo in diesem Stück des Bandleaders, „Anusia“.
Das erste Solo hat Willy Sanner - baritonsaxophon, das zweite Solo  Hans Koller.
Die Rhythmusgruppe besteht aus zwei amerikanischen Stars:
Oscar Pettiford  - Kontrabass und Kenny Clarke - Schlagzeug.
Es war nicht der erste Kontakt von Gerd Dudek mit US-Jazz-Prominenz:
Pettiford hatte er schon im Jahr zuvor in Stuttgart getroffen, ebenso Lee Konitz und Cedar Walton.
Ja, der junge  Dudek hatte einen Ruf…

03. KURT ELDELHAGEN ORCHESTER Segue in C, 3:37
Ansage Edelhagen

„Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen den Arrangeur des nächsten Stückes vorstellen, es ist unser Trompeter Rob Pronk. (prasselnder Beifall)

Die Solisten in seinem Arrangement sind Francis Copieters und unser Benjamin am Tenorsaxophon, ganz 21 Jahre alt: Gerd Dudek! (prasselnder Beifall)

Segue in C!
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MODERATION
Universität Bonn, 16 März 1961, „Konzert für die Jugend“ - ja, so waren damals Jazzkonzerte betitelt - das Orchester Kurt Edelhagen, ein mit Spitzenkräften international besetztes Ensemble, darunter erneut als „Benjamin“, mit einem Tenorsaxophonsolo: Gerd Dudek.

O-TON GERD DUDEK
Im 
Februar 1960 kam ich aus Siegen, erste Probe, war um 10, glaube ich, da kam ich gleich zu spät.

O-TON MANFRED SCHOOF

Und der spielte damals immer noch relativ- na, es war schon ein bißchen Coltrane´sker geworden, sagen wir mal so.
 Coltrane hatte sich ja so langsam ausgebreitet in der Saxophonisten-Szene. Coltrane hat Rollins abgelöst. Rollins war vorher der große Meister.
Und es gibt ja diese zwei Linien: Coleman Hawkins mit Rollins als Nachfolger oder Lester Young mit Stan Getz, die Westküsten-Saxophonisten alle.
Da war der Gerd eigentlich in der Ecke. Und dazwischen hat er sich in dem Moment bewegt, würde ich sagen.

04. GERD DUDEK QUARTETT Blues for four in 4/4, 4:07
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MODERATION
„Blues for four in 4/4“ - Blues für vier im 4/4-Takt - ein Stück von Gerd Dudek, 1962; für ein Quartett aus Kollegen des Orchesters Kurt Edelhagen (ansässig beim WDR in Köln), dem er bis Juli 1964 angehört.
Gerd Dudek - Tenorsaxophon, Bora Rokovic - Piano, Bob Carter - Kontrabass, Stuff Combe - Schlagzeug.
Gerd Dudek ist bis wenige Wochen vor seinem Tod im November 2022 live aufgetreten; zu seinen häufigsten Partner der letzten Jahre gehört der Kölner Pianist Martin Sasse:

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O-TON MARTIN SASSE
Der hat ja dann in Berlin gewohnt, nachdem er bei Edelhagen ausgestiegen ist, und hat da wirklich Woody Shaw kennengelernt und Johnny Griffin. Und die waren alle Riesen-Fans von ihm. Die haben wirklich geschwärmt.
Woody Shaw soll zu ihm gesagt haben: „Ich möchte einmal so spielen können, wie Du spielen kannst!“
Da war er ganz stolz.

Ich glaube, wenn er eine andere Persönlichkeit gewesen wäre - aber wahrscheinlich wollte er da ja gar nicht - hätte der weltberühmt werden können, der Gerd. Davon bin ich überzeugt.


O-TON GERD DUDEK
Ich war am Anfang absoluter Stan Getz-Fan. Und dann kam Coltrane Ende der 50er, so ´59/Anfang ´60. Als ich bei Edelhagen war- da war neulich eine Sendung über mich im Edelhagen-Orchester. Irre!
 Was ich da gespielt habe, mit 22, 23!
 Coltrane.
Aber Coltrane war mir auch schon zu alt. Albert Ayler - also das war für mich, wie der spielte. Coltrane war beiseite schon. Der spielte eigentlich offener, der Sound, diesen singenden, offenen- und das hat mich unheimlich fasziniert. Das wollte ich machen.
Das Saxophon muss singen, muss laut singen. Und das war Albert Ayler!

05. MANFRED SCHOOF QUINTETT Axiom, 4:21
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MODERATION
Sie kannten sich seit 1957; Mitte der 60er Jahre stößt Gerd Dudek zum Kreis der Musiker um den Trompeter Manfred Schoof in Köln,
mit Alexander von Schlippenbach - Piano, Buschi Niebergall - Kontrabass, Jaki Liebezeit - Schlagzeug (der sich wenige Jahre später sozusagen um 180 Grad dreht, in der Rockgruppe Can).
„Axiom“, das Manfred Schoof Quintett im Herbst 1966, eine zentrale Gruppe des deutschen FreeJazz.
Der Bandleader erinnert an seinen damaligen Saxophonisten:

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O-TON MANFRED SCHOOF
Der konnte alles spielen, dazu brauchte er sich nicht verändern, denn er hat im Grunde ja immer sich selbst gespielt. Er hat auch im Konvetionellen - sagen wir in Mitwirkungen bei Wolfgang Dauner oder in irgendeiner Big Band - da hat er seinen Stil gespielt:
den Stil von Gerd Dudek, Saxophon.
Und er hat bei Globe Unity auch seinen Stil gespielt. Und da ist er überhaupt nicht herausgefallen - es passte immer!

Es war einfach die große Qualität, die dieser Mann ausgespuckt hat.

 

06. MANFRED SCHOOF European Echoes, 2:49 (Orchesterfassung)

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MODERATION
SWR2 Jazztime, „Der virtuose Schweiger - Erinnerungen an den Saxofonisten Gerd Dudek“.
Manfred Schoof hat am längsten mit ihm gearbeitet: von Mitte der 60er bis hier, 2020, einer Orchester-Ableitung seines FreeJazz-Epos „European Echoes“, mit dem Weimar Festival Orchester und dem Solisten Gerd Dudek - hier Sopransaxophon. Er hat eben nicht nur Tenor-, sondern auch Sopransaxophon gespielt und gelegentlich Flöte.

07. MARTIN BÖTTCHER Es muss nicht immer Kaviar sein, 0:42
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MODERATION
Wie sagte Manfred Schoof? - „Er konnte alles spielen!“
Gerd Dudek war ein Musiker der Extreme. Er spielt mit der NDR Radiophilharmonie 1983 die Titelmusik aus dem Film „Es muss nicht immer Kaviar sein“ - und 15 Jahre zuvor….

ANSAGE ULRICH OLSHAUSEN
Guten Abend, liebe Jazzfreunde. Unser viertes und letztes Konzert des 11. Deutschen Jazzfestivals ist der vordersten Front der Jazzentwicklung gewidmet. Und wir wollen beginnen mit dem deutschen Jazzmusiker, der noch nie eine laue Reaktion gehabt hat. Seine Musik trifft entweder auf extreme Ablehnung oder auf extreme Zustimmung. (Beifall)
Und jetzt der Mann, den man gerne das enfant terrible des deutschen Jazz nennt: Peter Brötzmann! (Beifall)
 Das Stück, das das Peter Brötzmann Nonett spielt, heißt „Machine Gun“. Und Sie können die Klänge, die Sie jetzt hören, durchaus auf unsere Zeit beziehen, in der die Maschinengewehre noch immer sprechen.

08. PETER BRÖTZMANN NONETT Machine Gun, insgesamt ca 1:11
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O-TON PETER BRÖTZMANN
Ich war immer ein bißchen jünger als Dudek, und ich hatte auch damals keine Ahnung vom Saxophonspielen. Ich hab mir das alles selbst beibringen müssen. Und Gerd war für mich immer der Held, der alles konnte. Und alles so wunderbar musikalisch machte.

MODERATION
Peter Brötzmann, Uraufführung von „Machine Gun“, einem der klassischen Werke des europäischen FreeJazz, am 24. März 1968 in Frankfurt.
Gerd Dudek nimmt daran teil - nicht aber an der viel berühmteren Plattenfassung kurze Zeit später später in Bremen.

O-TON PETER BRÖTZMANN
Ja, und dann gab´s natürlich die Arbeit mit Globe Unity, wo Gerd immer die allerbesten und schönsten Soli spielte. Vor allem wenn´s darum ging, Themen und Titel zu verarbeiten. Ein ganz klassisches Beispiel ist das „Goodbye“, was wir produziert haben bei FMP als Single. Da spielt er so ein wunderbares Solo; da kriege ich heute noch eine Gänsehaut, wenn ich da zuhöre.

09. GLOBE UNITY ORCHESTRA Goodbye, 3:54

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GEDICHT INGEBORG DREWS

Zu Gerd Dudek´s Siebzigstem Geburtstag
The one and only Bloosek
say incomparable Dudek
has his horn
never torn
nor his mind
in behind. 

The one and only Dudek
this famous blowing Bloosek
has never cared for gold nor
toured for sweets and honey
quick money or the yellow
glamour of cheap honour.

The wise and silent Dudek
has blown his tunes apart from
fake to genious ears or tributed
to angels faces or may
be in swingin´ places 
to holy dreaming lunatics.

MODERATION
Inga Drews liest ein Gedicht ihrer Mutter, der 2019 verstorbenen Kölner Lyrikerin Ingeborg Drews. Sie ist - wie Gerd Dudek - 1938 geboren und war ihm über viele Jahrzehnte, auch in gemeinsamen Projekten, freundschaftlich verbunden.
„Dudek“ - „Bloosek“ - der Name lädt zu Sprachspielen ein, ganz ähnlich wie 1973 Joachim Kühn: „Do dat Dudek“.

kuehn joachim jan 23 portrait


O-TON JOACHIM KÜHN

Das habe ich für ihn gemacht. Mit zwei Saxophonen, damals habe ich noch Saxophon gespielt.

Wie kommst du auf den Titel? Der Titel suggeriert: gleich geht´s ab. Und dann geht´s auch ab. 
„Mach´ das Dudek!“
Ich hab´ mir nix groß dabei gedacht. Außerdem ist es 50 Jahre her, ich kann mich nicht erinnern warum. Ich dachte, das klingt gut:
Du-Dek. Do dat. Dudek. 

Phonetisch sehr attraktiv!

Ja, okay.

 

10. JOACHIM KÜHN Do dat Dudek, 5:26
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MODERATION
„Do dat Dudek“, ein sehr Ornette Coleman-beeinflusstes Stück, aus dem Album „This Way out“ von Joachim Kühn, 1973.
Der Bandleader ausnahmsweise nicht am Piano, sondern am Altsaxophon in einer regelrechten „battle“ mit Gerd Dudek - Tenorsaxophon, Peter Warren - Kontrabass, Daniel Humair - Schlagzeug.

O-TON JOACHIM KÜHN
Er war der komplette Musiker, der alles konnte. Er war leider als Mensch nicht so dominant, wie soll ich sagen? um viele eigene Sachen zu machen. Er war eigentlich der perfekte sideman, mit Mangelsdorff, mit Manfred Schoof, später viel mit Ali Haurand. Ich hatte mir immer gewünscht, dass Gerd mal ne eigene Platte macht. Da gibt´s leider sehr wenig. Das tut mir sehr leid.

MODERATION
Der Pianist Jasper van´t Hof über Gerd Dudek:

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Ich habe viele Musiker kennengelernt, die einmalig hohen Standard haben. Und die waren meist sidemen.
Ich kann sehr gute Beispiele nennen: in meinem Leben habe ich die schönste Zeit gehabt mit Bob Malach. Bob ist auch, wie Gerd, alles! Stevie Wonder, er war der einzige white man touring ever with Stevie!
 Steve Miller. Madonna. Barbra Streisand.
 Weil er alles weiß. Und Barbra genau wusste: er versteht genau, was ich brauche.
Es ist, wie du jemandem wie Gerd Dudek eine Melodie schreibst, die du zuhause schreibst. Ohne Gerd. Du bist ganz allein. Und du gibst es Gerd, und du sagst 1,2,3,4 - und er spielt genau die Töne. Er spielt es, wie es seelisch gespielt (werden muss).

Eine Melodie zu spielen und zu lesen, das ist eine Kunst. Die Emotion von diesem Stück auf den Tisch zu legen - das ist Gerd. Bob Malach. Charlie Mariano.
Das sind diese Leute, die ein enormes know how haben, um zu kommunizieren miteinander.
Und dann - ja ich hasse das Wort, ich glaube nicht an Musikalität - das ist die Seelen-Übersetzung von deinem Gehirn zu deiner Seele. Dann on top eine einmalige Klasse - Gerd Dudek!

11. GERD DUDEK AND FRIENDS Dudek´s U-Turn, 8:03
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MODERATION
15. Mai 1999, Rückkehr für ein Konzert nach Siegen, zu einer verspäteten „Dudek Jubilee“ anlässlich seines 60. Geburtstages.
Gerd Dudek And Friends.
Der Jubilar, wie so oft - tenorsaxophon
Alexander von Schlippenbach - piano. Der Gefährte aus den Tagen des Schoof Quintetts und des Globe Unity Orchestra hat dieses Stück für ihn geschrieben: „Dudek´s U-Turn“.
Adelhard Roidinger- kontrabass, Pierre Courbois - schlagzeug.
Paul Heller, Tenorsaxophonisten Kollege aus den letzten Jahren in Köln:

O-TON PAUL HELLER
Also, was auf jeden Fall bleibt ist seine tolle Persönlichkeit. Wenn man ihn mal kennengelernt hat, das wird man nie vergessen. Und wenn man das Glück gehabt hat, die eher seltenen Momente zu erleben, wo er wahnsinnig viel erzählt hat. Zum Beispiel lange Autofahrten, da hat er unheimlich viele Geschichten erzählt, von Rio damals, von den German All Stars-Zeiten, und wie er Coltrane in Düsseldorf getroffen hat. Usw, das kann man gar nicht alles aufzählen, was der alles an Geschichten erlebt hat - und fantastisch erzählen konnte.

O-TON GERD DUDEK
Und dann ging ich weiter so auf und ab, wir standen da so rum und warteten auf Miles Davis. Aber der kam nie. So bin ich Kaffetrinken gegangen in die Kantine. Und Coltrane neben mir! Wir stehen zusammen auf dieser langen Theke und trinken Kaffee. Da war nur die Frau mit dem weißen Kittel, und Coltrane! Irre! Coltrane hatte so eine schwarze Cordjacke und da drunter Smoking mit Fliege.

heller paul sep 22 live 0fde5024d0O-TON PAUL HELLER

Frage: Aber, kennst du denn die Auflösung der Geschiche, wie Gerd Dudek Coltrane getroffen hat in Düsseldorf?

Na, ich habe das so in Erinnerung, dass die nebeneinander standen. Da war der Gerd zunächst überrascht, dass der Coltrane so klein war. Der Gerd hat ihn ja nur von Paltten gehört, und wenn man so einen Sound hört, dann hat man eine Assoziation, der sei unheimlich groß. Dass der sagt „der war unheinlich klein“. Ich glaube, die haben sich auch ein bißchen unterhalten, soviel ich weiß.

Frage: Ich kennen die Anekdote andersrum. Die haben beide sich einen Kaffee geben lassen, es gab ja keine Automaten, und haben den Kaffee schweigend nebeneinander getrunken.

Oh ja! Das kann sogar auch sein. Ja, wahrscheinlich ist es so gewesen (lacht)

Frage: würde man sagen „typisch Gerd“?

Ja, da könnte man sagen: typisch Gerd. Da hat er wahrscheinlich den Moment unheimlich genossen und wollte ihn wahrscheinlich nicht stören.

12. GERD DUDEK Green Table Speech, 4:40
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MODERATION
„Green Table Speech“, eine der wenigen Kompositionen von Gerd Dudek.
Sie ist in diesen Tagen erschienen , postum, auf einem neuen Album, „With you“.
Am 3. November 2022 ist Gerd Dudek in Köln verstorben, er wurde 84 Jahre alt.
Am 27. Dezember treffe ich seinen ältesten Bruder in Berlin, den früheren Trompeter Oswald Dudek.

O-TON OSWALD DUDEK

Frage: Wie denken Sie heute über ihn?

Er war ein ganz lieber Mensch. Ein ganz lieber, ganz netter, ganz- wie gesagt, ein ganz lieber Mensch war der Gerd.

 MODERATION
SWR2 Jazztime, „Der virtuose Schweiger - Erinnerungen an den Saxofonisten Gerd Dudek“.
Die Aussagen von ihm selbst stammen aus einem Gespräch mit Ingo Marmulla in Köln, 2014.
Am Mikrofon verabschiedet sich Michael Rüsenberg.

©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten
Fotos (6) Gerhard Richter