Ferdinand Bräu, Bösendorfer Pianos, Wien, über das Köln Concert
Facetime-Interview, 07.10.2025
Sie sind Product Design Director im Hause Bösendorfer. Was heißt das konkret?
Ich befasse mich mit allen Entwicklungen, die bei uns im Haus stattfinden. Das heißt, wenn es darum geht, einerseits neue Modelle zu entwickeln, was wir ausgiebig getan haben in den letzten Jahren. Wir haben beispielsweise 2018 einen neuen Konzertflügel eingeführt und im Laufe der Zeit diese Vienna-Konzert-Linie, vom Konzertflügel bis zum kleinsten Flügel, durchgezogen, in allen Größen. Das war ein sehr wesentliches Projekt in den letzten Jahren. Aber auch, wenn es darum geht, zum Beispiel spezielle Design-Instrumente zu entwickeln, entweder selber zu entwerfen oder eben zusammen mit Partnerfirmen oder Architekten oder Designern. Das sind meine Bereiche, wo ich jetzt tätig bin.
Kann man sagen, dass Sie von der Pieke auf sich dorthin gearbeitet haben? Sie haben 1978 angefangen bei Bösendorfer. Ich vermute als Klavierbauerlehrling, wie man bei uns sagt.
Genau, Klavierbauerlehrling wäre der richtige Ausdruck.
Genau genommen, als ich begonnen habe 1978, hat man noch Klaviermacher gesagt. Aber mittlerweile hat man das revidiert auf Klavierbauer. Ich habe ganz von der Pieke auf den Klavierbau gelernt und habe dann viele Stationen in der Produktion und in der Firma generell bekleidet, habe auch die Produktion geleitet über einen großen Zeitraum und mich auch u.a. mit Künstlerbetreuung beschäftigt. Also, ich kenne die Szenerie sehr gut und habe auch viele Jahre als Konzertechniker gearbeitet.
1978, hatten Sie da schon das Köln Concert gehört?
Ich weiß nicht mehr ganz genau, wann ich das Köln Concert zum ersten Mal gehört habe. Aber sicherlich noch vor 1980, würde ich sagen, irgendwann einmal.
Was hat es Ihnen gesagt? Wie haben Sie es damals gehört? Wie hören Sie es heute?
Es war eine Kultplatte. Wir haben das im Freundeskreis auch auf- und abgehört.
Das hat einfach dazu gehört zu der Zeit. Was ich damals nicht wusste (und bei uns in der Firma eigentlich auch niemand), ist, dass dieses Konzert auf einem Bösendorfer entstanden ist.
Keith Jarrett hat ja später dann kaum noch auf Bösendorfer gespielt, und deswegen gab es für auch kein Bewusstsein dafür. Und erst zu einem viel späteren Zeitpunkt, wo dann jemand auf uns zugekommen ist, ist uns das bewusst geworden, dass diese Aufnahme auf einem Bösendorfer entstanden ist.
Und was war Ihr erster Eindruck, als Sie hörten, das ist auf einem Bösendorfer gespielt? Wahrscheinlich ja zusammen mit der schlechten Nachricht, dass es sich um einen, ich formuliere mal vorsichtig, dass es sich um einen „ramponierten Bösendorfer“ gehandelt haben soll. Also mehrfacher Konjunktiv.
Also die erste Reaktion war natürlich sofort, die Aufnahme noch einmal anzuhören, genau. Und zuzuhören, ob das möglich sein kann, dass das wirklich ein Bösendorfer-Flügel ist. Und das hat sich dann auch bestätigt. Der ist sicherlich eher etwas dichter von den Mikrofonpositionierungen her im Vergleich zu einer klassischen Aufnahme. Es ist relativ direkt, aber man kann schon erkennen, dass er durchaus Bösendorfer-typische Merkmale hat.
Und heute, nachdem Sie das ja auch 50 Jahre später sicherlich auch im Zuge der ganzen Publicity um dieses historische Datum gehört haben, was ist denn heute Ihr Urteil über den Flügel? Und was handelt sich überhaupt? Um welchen Flügel? Ist das ein Stutzklavier, wie es immer heißt, oder nur ein Probenflügel?
Also das, was ich immer gesagt habe, ist, dass das kein Stutzflügel sein kann, aus klanglichen Gründen. Den Flügel, den man eben auf der Platte, auf der Aufnahme, auf dem Album hört, hat ganz eindeutig Merkmale von einem zumindest mittelgroßen- bis Konzertflügel. Und das war für mich eigentlich immer klar, dass das kein Stutzflügel sein kann. Im Laufe der verschiedenen Recherchen – da gab es eben dieses französische Filmteam, die sich da auf die Suche gemacht haben – die sind dann zu uns gekommen mit einer Nummer, und zwar eine Opus-Nummer von einem Modell 225. Das ist ein, wie wir sagen, Halbkonzertflügel.
Und da habe ich dann in unseren Aufzeichnungen in unseren Büchern recherchiert.
Allerdings, diese Opus-Nummer wurde in der Zeit auf den Resonanzboden gestempelt, mit blauen Stempelbuchstaben.
Und die sind dann mit der Zeit oftmals ein bisschen ausgebleicht. Und sie haben ja eben eine Nummer gesagt, 23.922.
Das war sozusagen dann im Laufe der Durchsicht. Ich habe dann diesen Flügel herausgesucht mit 23.922, hat nicht gepasst, weder vom Modell noch wo der Flügel hingeliefert wurde. Das ist schon oft vorgekommen, dass diese Nummern am Resonanzboden ein bisschen ausgebleicht sind, und dann kann man sie nicht mehr genau erkennen.

Ich bin dann darauf gekommen, dass zwei Stellen nicht gestimmt haben.
Die wirkliche Nummer ist 28.952. Und dieser Flügel wurde 1969 geliefert an unseren damaligen Händler Panier in Köln. Der ist heute noch in der Kölner Oper. Und das dürfte der Flügel sein.
Sie haben auch zwei Fotos mitgebracht, die Vera Brandes selber gemacht hat am Konzertstag. Und es muss auch schon im Saal gewesen sein, weil es auch schon mikrofoniert ist. Das Instrument – und man sieht deutlich – es ist ein Instrument (sieht man auf den Fotos, Keith Jarrett spielt darauf gerade) mit fünf Feldern. Das heißt, die Saitenanlage ist in fünf Teile aufgeteilt. Und das gibt es beim Stutzflügel nicht. Fünf Felder haben nur die größeren Flügel ab dem Modell 225 und dann noch die zwei großen Modelle 275 und Imperial.
Also das ist deutlich erkennbar. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass dann das Instrument, das beim Konzert verwendet wurde, dieser 225er Flügel ist. Und das passt dann auch mit dem Klang des Instruments zusammen, das man auf der Aufnahme hört.
Wie klingt denn der 225er von der CD oder LP, von welchem Tonträger auch immer Sie ihn gehört haben beim Köln Concert? Wie klingt der, wie wirkt er auf sie klanglich?
Relativ hell, teilweise fast ein bisschen scharf im Diskant.
Aber sonst eigentlich doch relativ gut in Ordnung, relativ gut gestimmt. Es ist ja immerhin ein Doppelalbum. Und ich nehme an, dass das durchgespielt wurde, ohne dass nachgestimmt wurde.* Und er ist auch bis zum Schluss hin relativ gut gestimmt. Also ein völlig kaputter Flügel könnte auch die Stimmung niemals in der Form halten. Und er hat ja doch teilweise ganz schön kräftig ´reingegreifen. Ein Flügel klingt natürlich auch immer so, wie gespielt wird, er spiegelt das bis zu einem gewissen Grad wieder. Der Flügel hat zwar auch ein grundsätzlich eigenes Klangverhalten, aber vieles hängt davon ab, wie der Pianist das Instrument bespielt. Und so klingt es dann auch natürlich.
Aber für mich klingt es relativ hell, aber doch substanziell, relativ gut.
Und für mich hat es nie den Eindruck gemacht, dass das irgendwie ein Instrument wäre, das nicht in Ordnung wäre. Und wenn wir jetzt von dem 225er ausgehen, mit der Opus Nummer 28.952, der wurde 1969 geliefert. Und das Konzert war dann 75, glaube ich.
Sechs Jahre später.
Also, das ist kein Alter für einen Flügel. Er kann gar nicht in so schlechtem Zustand gewesen sein.
Wie kommt denn dieses Urteil zustande? Sie revidieren dies ja und stellen sich mit ihrem Urteil, (und das ist ja der Urteil, ich sage mal, von jemandem mit wirklich guten Ohren), völlig unvorbelastet. Sie haben das Instrument ja nie in Augenschein genommen. Warum ist denn immer von der schlechten Qualität des Flügels gesprochen worden, sogar dahingehend , dass die Ästhetik des Künstlers sich danach gerichtet und eben die ganz oberen und die tiefen Seiten vermieden, sondern sich auf dem mittleren Bereich konzentriert habe. Wie kommt das für Sie zusammen? Was stimmt da nicht?
Das sind diese Mythen, die dann entstehen. Aber der Hauptgrund wird wahrscheinlich sein, dass zunächst einmal eher zu diesem Stutzflügel schon hingeführt wurde offensichtlich.
Ich habe auch gesehen in unseren Büchern, dass wir auch kleine Flügel entsprechend dieser Stutzflügel mit 148 hat es da ein Modell gegeben. Haben wir auch an Panier Köln geliefert. Also das kann durchaus sein, dass solche Instrumente auch in der Kölner Oper vorhanden waren und dass man ihn zunächst einmal zu so einem falschen Flügel hingeführt hat, wo er verständlicherweise dann gesagt hat, auf so einem Mini-Flügel, der noch dazu im schlechten Zustand ist, spiele ich nicht.
Aber in dieser ganzen Aufregung – die Vera Brandes war 18 Jahre alt oder so -, und in diesem ganzen Organisationschaos hat sich wahrscheinlich im Haus irgendjemand gefunden, der dann diesen 225er Flügel auf die Bühne gestellt hat, und das hat sie vielleicht gar nicht so in der Form mitbekommen. Sie war ja auch keine Klavierexpertin in dem Sinn, und in der Aufregung kann es schon sein, dass sie das dann nicht… aber die Fotos, die sie selber gemacht hat, die beweisen es. Also es ist ein fünf-spreiziger Flügel, das sieht man an den Seiten und am Gussrahmen ganz eindeutig und auch am Stimmstock, der hat so einen verbreiterten Stimmstockkeil, das gibt es nur bei den größeren Flügeln.
Sie haben ja auch gesagt, gegenüber der „Welt“, „es wird ja so viel Unsinn über dieses Konzert verzapft“. Wo sehen Sie die Quelle oder wie kommt das zustande?
Na ja, das kommt eben zustande, dadurch, es kann schon sein, dass dieser Stutzflügel, zu dem er zunächst hingeführt wurde, dass der gröberen Mängel hatte.
Aber etwas, das auch dazu beiträgt, ist einfach sein perkussives Verwenden des Pedals. Man muss sich vorstellen, das Pedal ist ja über die Dämpfer mit den Saiten verbunden. Das heißt, wenn ich jetzt sozusagen, ohne eine Taste anzuschlagen, auf das Pedal draufschlage mit dem Fuß, wird nicht nur sozusagen dieses Geräusch erzeugt, sondern es wird ja über die Saiten, über den Resonanzboden verstärkt, weil ja die Dämpfung ausgehoben wird. Und das Ganze wird über den Resonanzboden so wie ein Ton verstärkt. Und das kann man natürlich wunderbar perkussiv einsetzen. Hat aber nichts damit zu tun, dass das Pedal nicht in Ordnung wäre. Das kann man bei jedem neuen, perfekt einregulierten Flügel, kann man das ganz leicht erzeugen. Und es hat einen wunderbaren Effekt, den er halt da verwendet hat. Aber weil eben sozusagen dieses Gerücht, oder das kann schon sein, dass es tatsächlich so war, dass dieser erste Flügel, an dem er hingeführt wurde, vielleicht ein kaputtes Pedal gehabt hat, jetzt hat man das sozusagen oft das Instrument beim Konzert übertragen, unwissendlich. Und so entstehen solche Mythen, die dann einen ganz anderen Ursprung haben und wo das dann einfach sofort gesponnen wird sozusagen.
Und aber ein tatsächlich ganz anderen Ursprung hat.
Die nächste Geschichte ist ja, die mit dem Pausengong, den es ja gar nicht gegeben hat. Und auch diese zweite Geschichte darum, dass das beim Nachbarhaus irgendwie so etwas Ähnliches gäbe, und er hat es dann in Moll verwandelt. Und das sozusagen bei einem Improvisations-konzert, da muss man schon wirklich eine gute Fantasie haben, um sich das wirklich vorstellen zu können.
Das Tonstudio Bauer bekommt auch heute noch, 50 Jahre nach dem Ereignis – es ist ja bekannt, dass Bauer aufgenommen hat – Resonanz darauf, Post. Und ich habe den Eindruck, die ist durchaus positiv. Wie verhält es sich denn bei Bösendorfer? Haben Sie irgendwo mal Imageprobleme gehabt, dass Sie diesen in der Öffentlichkeit so genannten schlechten Flügel gestellt haben?
Wie gesagt, es war uns selber bei Bösendorfer viele, viele Jahre komplett unbekannt, dass es überhaupt eine Bösendorfer-Aufnahme gewesen wäre oder war.
Und ich hatte selber auch nie den Eindruck, dass der Flügel schlecht wäre. Also auch nicht wissend, dass das auf einem Bösendorfer aufgenommen wurde. Also jemand, der sich gut mit Klavieren auskennt, also ein Klaviertechniker oder Pianist, der, also diese Platte hört, diese Aufnahme hört, der müsste das auf jeden Fall auch bestätigen, dass das nicht sein kann, dass das ein schlechtes Instrument wäre.
Das heißt, die Koplung Keith Jarrett-Köln Concert-Bösendorfer hat nie eine negative Assoziation wachgerufen oder wachgehalten?
Nein, eigentlich nicht. Nein, also wir haben da nie irgendwelche Rückmeldungen bekommen. Aber ich glaube, dass auch wirklich den wenigsten Menschen überhaupt nur bekannt ist, dass es auf einem Bösendorfer entstanden ist. Und er hat dann eigentlich immer auf dem Mitbewerber bestanden sozusagen. Wir haben ihn ja gar nicht so am Radar gehabt quasi.
Haben Sie denn noch Künstler, also sozusagen Bösendorfer-Künstler oder Bösendorfer-Friends, die ja im Jazz-Bereich durchaus zahlreich waren?
Also wir hatten ja sehr enge Beziehungen zu Oscar Peterson, aber auch andere Pianisten wie Cecil Taylor zum Beispiel, Randy Weston zum Beispiel, haben wir beste Beziehungen gehabt und die waren sehr nahe und waren sehr mit Bösendorfer verbunden. Keith Jarrett haben wir gar nicht so am Radar gehabt.
Aber Sie haben ihn auch nie persönlich getroffen als Künstlerbetreuer?
Nein, ich habe dann Künstlerbetreuung erst viele Jahre später gemacht. Ich habe zwar etliche Konzerte gesehen, unter anderem auch das Konzert in Wien in der Staatsoper, das auch aufgenommen wurde, oder auch bei anderen Jazz-Festivals, weil mich die Musikrichtung schon immer sehr interessiert hat. Aber persönlichen Kontakt hatte ich nicht.
Vielleicht abschließend, was ist denn Ihr persönliches Vergnügen oder wie ist denn Ihre persönliche Wertung als Hörer über das Köln Concert? Hören Sie das gerne oder ziehen Sie andere Werke von ihm vor?
Ich glaube, es hat sozusagen seinen fixen, festen Platz in der Zeit, wo es entstanden ist. Ich denke, dass es also in der Zeit absolut bahnbrechend war. Ich habe auch einmal das Interview gelesen, das Keith Jarrett gegeben hat – ich weiß nicht mehr, in welchem Medium – aber da hat er sich relativ abschätzig selber über das Köln Concert geäußert.
1992 im Spiegel. „Alle Exemplare einstampfen“.
Ja, genau.
Und ein Jahr vorher hatte er die Transkription freigegeben. Das muss man auch mal bedenken. Man darf, glaube ich, Keith Jarrett nicht 1: lesen.
Genau. Da gab es also ganz witzige Kommentare zu dem Artikel im Leserbriefbereich. Da kann ich mich noch erinnern, da hat jemand geschrieben, “lieber Keith, spiel´ deine atemberaubende, wunderbare Musik. Für die werde ich dich lieben so oft und so gut wie möglich. Aber bitte halt´ die Schnauze“.
Das ist als wäre ein witziger Kommentar. Aber ich kann es schon irgendwie nachvollziehen. Ich kann mir vorstellen, was er gemeint hat, dass er sich auch stark weiterentwickelt hat. Das würde ich aus heutiger Sicht auch sagen. Aber in der Zeit, also in den 70er Jahren, war das natürlich absolut beeindruckend für Klavier, Jazz, Solo-Performance.
Und hat seinen Platz in der Geschichte, würde ich sagen.
*Der Flügel wurde nach Part I kurz nachgestimmt.



